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Blick in die Geschichte Nr. 110

vom 18. März 2016

Wissenschaftsorganisator, akademischer Lehrer und Berater

Der Karlsruher Chemiker Karl Weltzien

von Klaus Nippert

Der Chemiker Karl Weltzien (1813-1870) ist einer der großen Unbekannten in der Geschichte der Stadt Karlsruhe und der Polytechnischen Schule, aus der 2009 das KIT hervorging. Die Gründe liegen in der Art seines Wirkens: Weltzien war in erster Linie Wissenschaftsorganisator, akademischer Lehrer und Berater. Seine wissenschaftliche Arbeit bestand in vielen kleinen Beiträgen zu Forschungsthemen seiner Zeit sowie in Übersichtswerken. Der wissenschaftliche Fortschritt ließ diese Arbeiten hinter sich wie auch einige grundlegende Leistungen Weltziens, von denen im Folgenden zu sprechen ist.

Karl Weltzien (1813 - 1870)

Jugend in Karlsruhe und Studium

Weltzien kam 1823 im Alter von zehn Jahren nach Karlsruhe. Seine Eltern hatten zuvor in Sankt Petersburg gewohnt, der Vater als Kaufmann beträchtliches Vermögen erworben. Wie Weltzien in seinem Lebenslauf vermerkt, veranlasste die Suche nach einem milderen Klima den Wechsel des Wohnortes. Dass die Wahl auf Karlsruhe fiel, hatte damit zu tun, dass die Weltziens hier auf Angehörige im Baltikum beheimateter Familien trafen. Überdies bestand mit dem von Weinbrenner in der heutigen Kaiserstraße an der Kreuzung mit der Ritterstraße erbauten 'Museum' ein Lokal für Begegnungen in kultivierter Atmosphäre. Weltzien hebt die Bedeutung dieser Stätte für die Ansiedlung der Familie in seiner autobiografischen Skizze hervor, auch erscheint das Museum immer wieder in seinen Tagebüchern als Ort von Geselligkeit.

Nach dem Besuch des Lyzeums und Privatunterricht studierte Weltzien in Heidelberg und Göttingen Medizin und schloss diese Ausbildung 1835 mit der Promotion ab. Im Jahr darauf heiratete er die aus Riga stammende und mittlerweile in Karlsruhe ansässige Anna Leontine Luise König. Was genau ihn bewegte, sich nun auf die Chemie zu verlegen, ist nicht mehr festzustellen. Weltzien widmete sich dem Fach im Privatstudium und unternahm Reisen an Universitäten. Von besonderer Bedeutung war sein Aufenthalt bei dem Berliner Chemiker Eilhard Mitscherlich im Sommer 1840. Nach diesen Stationen hielt Weltzien bei der badischen Regierung um die Zulassung als Dozent an der Polytechnischen Schule und am Karlsruher Lyzeum an, die ihm 1841 nach einem Probevortrag erteilt wurde. Auch wenn Weltzien damit Privatdozent wurde, war dieser Vorgang keine regelrechte Habilitation. Die Lehrerlaubnis erfolgte direkt durch das Ministerium, nicht durch die Polytechnische Schule.

Professor am Karlsruher Polytechnikum

Ab 1842 durfte Weltzien den Professorentitel führen, wirkte er doch weiter als Privatdozent ohne reguläre Besoldung. Wahrscheinlich erzielte er Einnahmen mit Geldern, die von seinen Hörern zu entrichten waren. Für den Lebensunterhalt reichte dies bei weitem nicht aus. Wie andere Privatdozenten hatte Weltzien den Weg zu einer besoldeten Professur vor allem aus eigenen Mitteln zu bewältigen. In seinem Fall war diese Strecke besonders lang und unklar, denn die Lehrstelle für Chemie an der Polytechnischen Schule wurde von dem 1799 geborenen Bergrat und Professor Friedrich August Walchner versehen, der zur Gründungsmannschaft der Anstalt gehörte. Walchner betrieb die Chemie vor allem im Hinblick auf deren industrielle Nutzung, insbesondere im Hüttenwesen, und pflegte geologische wie mineralogische Interessen. Weltzien war zunächst auf eine Nebenrolle beschränkt. In den Veranstaltungsverzeichnissen der Polytechnischen Schule erscheint er besonders mit Beiträgen zur Agrikulturchemie, die vor allem für die Besucher der als Abteilung des Polytechnikums bestehenden Forstschule eine Rolle spielte. Die damit einhergehende Schwerpunktsetzung bei der im Aufschwung befindlichen organischen Chemie erwies sich als die Spur, auf der Weltzien den Konkurrenten Walchner überholen konnte. Bis 1850 hatte er sich bei den Schülern und der Direktion der Polytechnischen Schule einen solchen Stand erarbeitet, dass man Verhandlungen über seine Berufung auf eine Professur begann. Weltzien stellte die Bedingung, dass ihm ein "passender Wirkungskreis" eingeräumt würde. Was er darunter verstand, legte er in einem Plan für den Bau eines chemischen Instituts dar. Auf dieser Grundlage erfolgte im Herbst 1850/51 die Anstellung als Professor der Chemie. Walchner, der gegenüber den Plänen für den Institutsbau Reserve gezeigt hatte und nur noch eine Minderzahl von Schülern an sich zog, wurde durch Beschluss des Staatsministeriums seiner chemischen Lehraufgaben enthoben und auf Geologie und Mineralogie beschränkt. Anfang 1851 übertrug man Weltzien auch die zuvor von Walchner innegehabte Leitung der seit 1847 am Polytechnikum eingerichteten Chemisch-technischen Schule.

Wissenschaftliche Arbeiten und der Chemikerkongress von 1860 in Karlsruhe

Mit dem bis 1851 nicht nur aus staatlichen Mitteln, sondern auch mit einem Zuschuss der Stadt neu gebauten Institut avancierte die Chemie in Karlsruhe zu einer renommierten Adresse dieser aufstrebenden Disziplin. Der mit verschiedenen Laboren und einem für Versuche eingerichteten Hörsaal ausgestattete Bau wurde als Muster für nachfolgend geplante Institutsgebäude Ziel in- und ausländischer Besucher. Das an der Nordseite des heutigen Ehrenhofs hinter dem Gebäude Kaiserstraße 12 errichtete Institut fiel dem Fortschritt zum Opfer: Anfang des 20. Jahrhunderts musste es einem Nachfolgebau weichen. Mit seinem Institut konnte Weltzien nicht nur die Lehre verbessern. Die hier eingerichteten Labore ermöglichten die Teilnahme am Forschungsbetrieb, wie er sich an den Universitäten entwickelte. Diese Kontaktzone zur universitären Forschung kannten andere Fächer des Polytechnikums erst in Ansätzen. Überhaupt war die Etablierung der Einheit von Forschung und Lehre eine Pioniertat an der vorrangig zur Vermittlung des bestehenden Wissens eingerichteten Polytechnischen Schule. Bildlich gesprochen installierte Weltzien am Polytechnikum mit der Forschung einen Auftriebskörper in Richtung Universität.

Vor diesem Hintergrund ist verständlich, weshalb Karlsruhe 1860 der Tagungsort des ersten internationalen Chemikerkongresses sein konnte. Die Zusammenkunft diente der Vereinheitlichung der chemischen Begriffe und der Nomenklatur. Auch wenn sie keine greifbaren Ergebnisse hatte, ergab sich in der Folge eine Verständigung, die zur Aufstellung des Periodensystems der Elemente durch die Teilnehmer Dmitri Mendelejew und Lothar Meyer führte. Zusammen mit seinen auswärtigen Kollegen Friedrich August Kekulé, damals an der Universität Gent, und Adolphe Wurtz aus Paris trat Weltzien als Organisator und Gastgeber des Kongresses auf. Diese Rolle war ihm durch seine vielfältigen Kontakte zu Wissenschaftlern in ganz Europa möglich. Besonders eng waren die Verbindungen nach Heidelberg: Von der Freundschaft mit Robert Bunsen zeugt ein ausgedehnter Briefwechsel, und auch mit Robert Kirchhoff gab es einen regen Austausch.

Auch sonst war Weltzien durchaus gesellig. Sein repräsentatives, als 'Palais Weltzien' bezeichnetes Stadthaus in der Karlstraße 47 an der Kreuzung von Karlstraße und Waldstraße bot hierzu Gelegenheit. Unter anderem war Weltzien befreundet mit dem Liberalen Karl Mathy, dem Historienmaler Feodor Dietz und dem Maler und Grafiker August Schroedter.

Wohnhaus Karl Weltziens in der Karlstraße, heute als Weltzien-Haus bekannt, 1822 - 1823 wahrscheinlich nach Plänen von Friedrich Weinbrenner erbaut

Weltzien arbeitete über Ammoniumverbindungen, Zersetzungsprodukte des Harnstoffs und Oxidationsstufen des Stickstoffs sowie zur Chemie des Schießpulvers. Daneben pflegte er einen, durch den Aufbau einer Sammlung dokumentierten Interessenschwerpunkt bei der Mineralogie. Weltzien publizierte eine Beschreibung seines Instituts (1853), einen "Grundriss der theoretischen Chemie, insbesondere für Artillerie- und Ingenieur-Officiere" (1854), Übersichtswerke der organischen Verbindungen, der Silikate und der anorganischen Verbindungen (1860, 1864, 1867) sowie Artikel in den "Annalen der Chemie". Seine 1866 publizierte Arbeit "Die Brunnenwasser der Stadt Carlsruhe" galt der Neuanlage der städtischen Wasserversorgung, wobei er am Beispiel der Polytechnischen Schule auf den Zusammenhang zwischen der Nitratbelastung von Quellen und ihrer Nähe zu Abortanlagen hinwies. Damit gab Weltzien dem für die Stadtentwicklung grundlegenden Vorhaben eine wichtige Leitlinie und löste wohl Erwartungen ein, die sich an die Mitfinanzierung seines Instituts durch die Stadt geknüpft hatten.

Gegen Ende seines Wirkens setzte Weltzien noch einmal an jenem Punkt in der Organisationsgestalt der Polytechnischen Schule an, den er bei seinem Eintritt hatte passieren müssen. In der Sorge um die Zukunft seines Schülers Karl Birnbaum wandte er sich 1867 an das badische Innenministerium und legte dar, dass die Polytechnische Schule keine Aussicht auf fähige Kräfte mehr habe, wenn diesen nicht ebenso wie an den Universitäten Aussicht auf Habilitation und außerordentliche Professur geboten würde. Die zeitliche Nähe zur der Verleihung des Habilitationsrechts an die Polytechnische Schule und zur Berufung Birnbaums auf ein Extraordinariat im Jahr 1868 legt nahe, dass Weltziens Antrag die Polytechnische Schule dem schon einige Zeit verfolgten Ziel des Habilitationsrechts mindestens ein Stück näher brachte.

Im Frühjahr 1868 ließ sich Weltzien wegen gesundheitlicher Beschwerden von seinen Verpflichtungen entbinden. Die Leitung des Laboratoriums übernahm sein Schüler Birnbaum, auf dem Lehrstuhl folgte ihm Lothar Meyer. Weltzien starb am 14. November 1870. Er wurde auf dem Karlsruher Hauptfriedhof bestattet, wo sich sein Grab noch immer befindet.

Der Nachlass von Karl Weltzien wird im KIT-Archiv verwahrt und ist in ausführlichen Briefregesten, auch über das Archivportal D recherchierbar.

Dr. Klaus Nippert, Leiter des KIT-Archivs

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