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Blick in die Geschichte Nr. 112

vom 23. September 2016

"Reichsadler contra Brieftaube"

Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900

von Oswald Walter

Seit einigen Jahren konkurriert die Deutsche Post AG mit privaten Unternehmen um den Postmarkt. Eine vergleichbare Situation gab es bereits schon einmal, und zwar in den Anfangsjahren des Deutschen Reiches: Durch die bei der Reichsgründung eingeführte Teilliberalisierung des Postwesens entstanden ab 1886 in vielen Städten private Postdienstleister. Die meist auf den innerörtlichen Briefverkehr spezialisierten Konkurrenten waren vor allem in größeren Städten sehr erfolgreich. Im Gegensatz zu heute war die Liberalisierung auf Dauer politisch jedoch nicht erwünscht: Durch die Erweiterung des Postmonopols wurden alle Privatpostfirmen am 31. März 1900 geschlossen.

Am Beispiel der Ereignisse in Karlsruhe lässt sich dieses erstaunliche Kapitel der deutschen Postgeschichte stellvertretend für die ganze Branche nacherzählen, angefangen von der Aufbruchsstimmung der frühen Jahre, dem verdeckten Kampf der Reichspost gegen die ungeliebte Konkurrenz, Insolvenz und kriminellen Machenschaften bis hin zur Chronik eines angesehenen und erfolgreichen Unternehmens.

Aufbruch ohne Fortune

Auch wenn Karlsruhe als Mittelstadt mit 61.066 Einwohnern im Jahr 1885 eher eingeschränkte Chancen für private Postdienstleistungen bot, gingen gleich zwei Unternehmer an den Start. Der erste war Georg Arnold, ein umtriebiger Heidelberger, der von einem städteübergreifenden Firmenverbund träumte. Sein Karlsruher "Statthalter" Ernst Reinhardt eröffnete am 23. Oktober 1886 die "Privat-Briefbeförderung". Nur vier Tage später folgte der ortsansässige Dienstmann Karl Anselm mit seiner "Privat Stadtbrief-Beförderung". Nicht nur die Namen der beiden Firmen waren nahezu identisch, auch die Geschäftsmodelle ähnelten sich: Beförderung von Briefen, Austragen von Werbematerial und Zeitungen sowie Zustellung von Paketen.

Skizze der von der Privat-Stadtbrief-Beförderung verwendeten Briefkästen

Obwohl es sich um kleine Betriebe handelte, wurden die Gründungen in der Presse ausführlich kommentiert, wobei der Tenor in Abhängigkeit von der politischen Einstellung von schroffer Ablehnung bis zu wohlwollender Unterstützung reichte. Allerdings zeigte sich schnell, dass der Markt in Karlsruhe für zwei Firmen zu klein war. Darüber hinaus versuchte die Reichspost mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, die ungeliebten Konkurrenten zu behindern. So wurde z. B. das Aufstellen von Briefkästen im "öffentlichen Luftraum" untersagt und die Verwendung von Briefmarken wegen ihrer Ähnlichkeit zu denen der Reichspost verboten. Als ein Zusteller der Reinhardtschen "Privat-Briefbeförderung" bei der Zustellung der Neujahrsbriefe 1887 auch noch einen Packen Briefe wegwarf, war es um den Ruf und damit den Erfolg des Unternehmens geschehen. Im April 1887 übernahm Karl Anselm den Konkurrenten, ohne dadurch die eigene Ertragslage entscheidend verbessern zu können. Auch die Produktion von Briefmarken für das kurzzeitig sehr beliebte Sammelgebiet "Privatpost" konnte den Niedergang seiner Firma nicht aufhalten: Mitte April 1888 musste Anselm Insolvenz anmelden, das Inventar der "Privat Stadtbrief-Beförderung" wurde versteigert.

Briefmarken der privaten Unternehmen mit Karlsruher Motiven

Trotz dieser Rückschläge lebte die Idee einer Privatpost für Karlsruhe weiter. Gustav Kraut, ein Installateur aus Freiburg, wagte einen neuen Anlauf und übernahm im Mai 1888 die Anselmsche Hinterlassenschaft. Da sich die Rahmenbedingungen jedoch nicht entscheidend geändert hatten, erging es ihm nicht besser als seinen Vorgängern und so fristete das Unternehmen mit Unterbrechungen sein Dasein. 1892 bekam die "Privat Stadtbriefbeförderung" einen neuen Impuls durch den Stuttgarter Unternehmer Karl Gladitz, der einen deutschlandweiten Prospektvertrieb aufzog und dessen Vertretung in Karlsruhe Kraut zusätzlich übernahm. Leider überwog Krauts kriminelle Energie seinen gesunden Menschenverstand: Er unterschlug zusammen mit seinem Kompagnon die Kautionen seiner Zusteller. Im Januar 1893 flog der Betrug auf und die beiden wurden zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Goldene Jahre

Nach einer längeren Pause eröffnete am Gründonnerstag 1894 der Kaufmann Jean Nies seinen "Privat-Brief-Verkehr". Der Zeitpunkt war gut gewählt, war Karlsruhe doch seit 1885 um etwa ein Drittel gewachsen. Miteigentümerin war Anna Farrenkopf, die sich mit ihrem Vermögen beim "Privat-Brief-Verkehr" einkaufte, um ihrem Ehemann Valentin eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.

Anzeige des 1894 eröffneten Postdienstleisters "Privat-Brief-Verkehr" von Jean Nies

Auch ohne publizistische Unterstützung ließ sich das Unternehmen gut an, bereits einen Monat nach der Eröffnung lag das tägliche Sendungsaufkommen bei etwa 1.000 Briefen. Aus gesundheitlichen Gründen beendete Jean Nies schon 1895 seinen Ausflug in die Welt der Privatpost und verkaufte seinen Unternehmensanteil an Anna Maria Hesch, Inhaberin eines Lebensmittelgeschäftes. So entstand die ungewöhnliche Situation, dass zwei Frauen Inhaberinnen der Firma waren. Da Anna Farrenkopf die Fähigkeiten zur Führung der Firma fehlten und Anna Maria Hesch nicht genug Zeit aufbringen konnte, schaute man sich bald nach einem neuen Partner um.

Mit dem neuen Teilhaber Josef Fritz als Nachfolger von Anna Maria Hesch begann die eigentliche Blütezeit des Unternehmens. Das Beförderungsvolumen lag ab 1897 bei etwa 500.000 bis 600.000 Sendungen pro Jahr, die von sieben Briefträgern zugestellt wurden. Besonders erfolgreich war Fritz mit dem Einwerben von Geschäftspost, so wurde z. B. die Post der städtischen Gas- und Wasserwerke und des Krankenkassenverbandes Karlsruhe von der Privatpost ausgetragen. Ein weiterer Umsatzträger waren Werbesendungen, die teilweise mit individuellen Adressen beschriftet wurden. Daneben wurden Bestellungen für überregionale Zeitungen und Aufträge für Firmen wie etwa die Ettlinger Reinigungsfirma Bardusch eingesammelt und weitergegeben. Auch Inkasso-Dienste für Vereine und die Zustellung von Zeitungen gehörten zum Portfolio. So ist es nicht verwunderlich, dass der mit sieben Zustellern arbeitende Betrieb einen jährlichen Gewinn von etwa 4.000 Mark abwarf.

Das gesetzliche Verbot

Doch parallel zum Geschäftserfolg zogen schon 1897 dunkle Wolken am Horizont auf. Unter dem neuen Generalpostmeister Victor von Podbielski stand ein gesetzliches Verbot der privaten Postdienstleister ganz oben auf der politischen Agenda. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren zog sich über mehr als zwei Jahre hin, so dass die Privatpostfirmen bis zum 31. März 1900 überleben konnten.

Die endgültige Fassung des Gesetzes enthielt detaillierte Regeln für die Entschädigung der Eigentümer und ihrer Angestellten, die Durchführung lag bei der Reichspost. Nach längerem Hin und Her erhielten Josef Fritz und Anna Farrenkopf eine Entschädigung in Höhe 16.474,69 Mark. Josef Fritz baute mit seinem Anteil eine Biergroßhandlung auf, die bis in 1930er Jahre existierte. Übel mitgespielt dagegen wurde Anna Farrenkopf, da die Reichspost rechtswidrig den größten Teil der Entschädigung an Gläubiger ihres Mannes auszahlte. Auch mit dem restlichen Geld wurde die Familie Farrenkopf nicht glücklich: Eine Möbelspedition ging nach kurzer Zeit wieder ein. Danach verdiente Valentin Farrenkopf sein Geld als Kutscher. Er muss ein schwieriger Zeitgenosse gewesen sein; im Stadtarchiv Karlsruhe hat sich eine Liste seiner zwischen 1902 und 1930 begangenen 59 Ordnungswidrigkeiten erhalten, angefangen vom Schlafen in der Droschke über zu schnelles Fahren bis zum Rauchen und Betrunkensein im Dienst.

Bei der Auswahl der zu übernehmenden Angestellten achtete die Reichspost penibel auf Alter, Gesundheit, Vorbildung und politische Einstellung, ein Mitglied der SPD etwa hatte keine Chance auf Anstellung. In Karlsruhe wurden vier Briefträger von der Reichspost weiterbeschäftigt, drei erhielten eine Abfindung, die bei den länger Beschäftigten etwa 75% eines Jahresgehalts entsprach.

Mit einer "Fahrniß-Versteigerung" der Hinterlassenschaft des "Privat-Brief-Verkehrs" am 29. Juli 1900 endete das Kapitel private Postdienstleister in Karlsruhe.

Dr. Oswald Walter veröffentlichte nach 30-jähriger Tätigkeit in der IT-Branche mehrere Veröffentlichungen über private Postdienstleiter vor 1900.

Ausführlich zum Thema: Oswald Walter: Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886-1900, Münster 2015.

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