Menü
eService
Direkt zu
Suche
eService – Ihr Anliegen bequem Online erledigen
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 123

vom 21. Juni 2019

150 Jahre Karlsruher Turngau

Turnerische Tradition und sportliches Leistungsstreben

von Gernot Horn

Der am 26. September 1869 von Turnvereinen aus Karlsruhe, Bruchsal, Mühlburg und Grünwinkel gegründete Karlsruher Turngau (KTG) bestimmte von Anbeginn das turnerische Geschehen in der Region. Mit dem als badischen Turnvater geltenden Alfred Maul hatte er einen prominenten Gründungs-Initiator. Dieser war im April 1869 zum Direktor der neugegründeten Großherzoglichen Badischen Turnlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe berufen worden.

Alfred Maul (1828-1907), Direktor der Turnlehrerbildungsanstalt, Mitbegründer und erster Vorsitzender des Karlsruher Turngaus

Maul war es ein wichtiges Anliegen, dem bisher losen Zusammenschluss der mittelbadischen Turnvereine durch die Gau-Gründung eine Organisationsform zu geben. Für den Gründungstag hatte Alfred Maul eine detaillierte Satzung ausgearbeitet. Seine Wahl zum 1. Vorsitzenden des fraglos ältesten badischen Turngaus war dann folgerichtig. Ein Amt, das er trotz anderweitigen Verpflichtungen bis 1896 ausübte. Alfred Maul war zugleich Turnwart des Oberrheinischen Turnerbundes, dem späteren X. Kreis der Deutschen Turnerschaft (DT). Als Vorsitzender der DT von 1887-1895 avancierte Alfred Maul zu einer herausragenden Persönlichkeit der deutschen Turngeschichte.

Der KTG entwickelte sich schnell zur unentbehrlichen Hilfe für seine Vereine. Unter der Federführung seines Vorsitzenden Maul wurden die für die Vereine ungemein wichtigen Vorturner ausgebildet. Der KTG richtete Wettkämpfe für Musterriegen und Einzelturnen aus. Die regelmäßigen Gauturnfeste, begonnen 1872 in Grünwinkel, waren Höhepunkte des KTG.

Aufschwung vor dem Ersten Weltkrieg

Das Turnen nahm in jener Zeit einen stürmischen Aufschwung. Überall gründeten sich neue Turnvereine. Trotz der dadurch bedingten Bildung von Nachbar-Turngauen blieb der KTG mitgliederstärkster badischer Gau. Konkurrenz entstand durch die Sportbewegung und die Arbeiter-Turnvereine. Der KTG hatte bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs ca. 6.000 Mitglieder. Paul Schmidt (KTV 1846), seit 1912 Vorsitzender, führte den Gau durch die schwere Zeit des Ersten Weltkriegs und übernahm auch 1919 wieder den Vorsitz. Kriegsbedingt hatte sich die Mitgliederzahl der 36 Vereine auf 3.875 reduziert.

Gruppenbild der Männer des Gauturnrats beim 60-jährigen Jubiläum der Gründung des Karlsruher Turngaus im Juli 1929

Glanzvolles Jubiläum 1929 - Weg in die NS-Zeit

Der Direktor der Badischen Landesturnanstalt, August Eichler (KTV 1846) löste 1924 den langjährigen Amtsinhaber Paul Schmidt als Gauvorsitzenden ab. Mittlerweile hatte sich der Mitgliederstand wieder auf 5.787 in 40 Vereinen erhöht. Eichler schied schon 1926 als Vorsitzender wieder aus. Nachfolger wurde sein Vereinskamerad Fritz Brüstle. Dieser war der Organisator für das große Turngau-Fest 1929 anlässlich des 60jährigen Bestehens. Das 50jährige Jubiläum hatte 1919 in den Wirren jener Zeit nicht gefeiert werden können. Das Jubiläumsturnen am 13. Juli 1929 mit vielerlei Aktionen gestaltete sich außerordentlich erfolgreich.

Unter der Leitung von Fritz Brüstle war der KTG auf einem guten Weg, ehe die politische Umwälzung 1933 tiefgreifende Veränderungen brachte. Bewährte Amtsinhaber mussten NS-nahen Funktionären weichen. Die Führung des KTG übernahm Wilhelm Durst (MTV Karlsruhe), der bereits vor 1933 eine Zeit lang Mitglied der DT-Jugendführung war. Der umstrittene DT-Jugendwart und kurzfristige DT-Vorsitzende, Edmund Neuendorff, rühmte seinerzeit, die gesamte Jugendführung sei bereits vor 1933 Mitglied der NSDAP gewesen. Der zentral ausgerichtete Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRL) gab sich eine neue Organisationsstruktur. Aus den bisherigen Turngauen wurden nunmehr Turnkreise.

Beim 1. Gaufest des DRL mit allen Sportarten im Juli 1935 in Karlsruhe war der Turnkreis personell stark eingebunden. Zwar erfüllte der Turnkreis weiterhin seine hergebrachten Aufgaben im Wettkampf- und Schulungsbereich, die allgegenwärtige NS-Ideologie war jedoch vorherrschend, zumal für die Jugendarbeit nunmehr die Hitler-Jugend zuständig war. Der Kriegsbeginn und dessen Folgen beeinträchtigten bzw. beendeten das turnerische Wirken.

Schwieriger Neuanfang nach 1945

Der Neuanfang nach 1945 war unendlich schwer. Trotzdem gründeten sich bald vielerorts wieder Turn- und Sportvereine. Als Dachorganisation fungierte ab 1946 der Badische Sportbund Karlsruhe mit Fachämtern und Kreisen für die einzelnen Sportarten. Erster Vorsitzender des Turnkreises Karlsruhe wurde 1946 der bewährte Wilhelm Mäule (TS 1846 Durlach). Trotz aller Schwierigkeiten wurde rasch wieder geturnt, es bildeten sich Frauen-Gymnastikgruppen und auch die Turnspiele Faustball und Ringtennis nahmen den Wettkampfbetrieb wieder auf. Die ehemaligen Arbeiterturner verzichteten weitgehend auf die Wiedergründung eigener Vereine und integrierten sich in die entstehenden Turn- und Sportorganisationen.

Wegen anderweitiger Ämter gab Wilhelm Mäule 1949 den Vorsitz ab. Seine Nachfolger wurden erst Otto Landhäußer und später Julius Ratzel vom KTV 1846. 1960 wurden die regionalen turnerischen Untergliederungen wieder traditionsgemäß in Turngaue umbenannt. Nach Julius Ratzel übernahmen seine Vereinskameraden Siegfried Ottwaska und Karl Volz den Gauvorsitz, ehe mit dem 1967 gewählten und bis 1980 amtierenden Erwin Benneter (TS 1846 Durlach) eine neue Ära begann. Ihm folgte mit dem Liedolsheimer Hans Seitz bis 1990 erstmals ein Vorsitzender aus einem Landkreis-Verein. Dessen Nachfolger Rolf Müller (TG Durlach-Aue) setzte vielerlei Schwerpunkte und amtierte bis 2007. Danach wurde Jürgen Stober (TG Neureut), der langjährige Gaukassenwart, Gauvorsitzender. Gegenwärtig führt sein 2017 gewählter Vereinskamerad Christian Stolz den KTG.

Wandel und Ausweitung im Fachlichen

Waren in früheren Jahrzehnten regelmäßige Gauturnfeste, Gaualterstreffen, Gaukinderturnfeste unter anderem Höhepunkte des Gaugeschehens, wandelten sich im Laufe der Zeit die Interessen der Vereine und ihrer Mitglieder. Dem musste auch der KTG mit seinem Programm entsprechen. Neben der Organisation von Wettkampfveranstaltungen galt das Hauptaugenmerk des KTG der Ausbildung von Übungsleitern und Kampfrichtern mit den verschiedenen Schwerpunkten. Mit der Ausweitung des fachlichen Angebotes und dem Anschluss zusätzlicher Vereine expandierte der KTG auch in der Mitgliederentwicklung. Durch Eintrag in das Vereinsregister erlangte der KTG, der bis dahin eine Untergliederung des Landesverbandes war, die Rechtsfähigkeit und dadurch mehr Handlungsspielräume. Anerkennung verschaffte sich der KTG auch bei der Organisation überregionaler Veranstaltungen, die zum turnfreundlichen Ruf der Stadt Karlsruhe beitrugen.

Mitarbeiter des KTG wurden immer wieder in übergeordnete Gremien gewählt. Der langjährige stellvertretende Gauvorsitzende Hermann Meinzer (TG Neureut) wurde beispielsweise 1977 Landesvorsitzender des Badischen Turner-Bundes (BTB). Liesel Treffinger (Turnerschaft Mühlburg) wurde als KTG-Frauenwartin zur Turnwartin für Ältere auf Bundesebene gewählt. Unvergessen ist auch der ehemalige Gaujugendwart Gerfried Dörr (TV 1846 Bretten) als jahrelanges Mitglied des BTB-Präsidiums.

In sportpolitischer Hinsicht setzte der KTG mit der 1980 gegründeten Seniorengemeinschaft für Gymnastik und Tanz, der maßgeblichen Mitwirkung 1989 bei Gründung der Vereinsinitiative Gesundheitssport sowie 1992 mit der Einrichtung der leistungssportlich ungemein erfolgreichen Kunstturnregion Karlsruhe Akzente.

Während das Wirken des KTG, dem im Jubiläumsjahr 135 Vereine mit 50.198 Mitgliedern angehören, im Bereich des Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssports meistenteils im Innenbereich stattfindet, wird das Wettkampf-Geschehen nach außen sichtbar. Herausragende sportliche Erfolge im Kunsturnen weiblich und männlich, bei der Rhythmischen Sportgymnastik, im Trampolinturnen, den Spielen Faustball, Ringtennis, Prellball, Indiaca, in den gemischten Mehrkämpfen, in den Gruppenwettweberben der Turnerjugend, im Orientierungslauf u.a. sorgten und sorgen für das Ansehen des KTG in der Öffentlichkeit. Die bewährte turnerische Tradition, Breitenarbeit und sportliches Leistungsstreben harmonisch zu verbinden, ist dem KTG von Anbeginn bis zur Gegenwart stets hervorragend gelungen.

Gernot Horn, Geschäftsführer des Badischen Turnerbundes (1970 - 2000), vielfacher Deutscher Ringtennismeister, Karlsruhe

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben