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Blick in die Geschichte Nr. 130

vom 19. März 2021

Vom Schlafsaal zu Mehrbettzimmern

Die Geschichte der Karlsruher Jugendherberge

von Katja Förster

Jugendbewegung und Reformpädagogik bereiteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Boden für die Entstehung des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH), dessen Ziel die Schaffung preiswerter Unterkünfte für die wandernde Jugend in Deutschland war. Heute ist der gemeinnützige Verein Träger von 442 Jugendherbergen in 14 Landesverbänden und gilt weltweit als größter Jugendherbergsverband.

Beim Aufbau des deutschen Jugendherbergsnetzes fiel den Zweigausschüssen des DJH die wichtige Aufgabe zu, für den Bau und Betrieb von Jugendherbergen in ihrer Region zu sorgen. Mit Brandenburg und Pommern entstanden im Frühjahr 1918 die ersten beiden Zweigausschüsse, Baden folgte zwei Jahre später an 14. Stelle.

Der erste 1953 eröffnete Bau des Anne-Frank-Hauses am Engländerplatz in der Moltkestraße, Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schmeiser 16322

1920: 30 Schlafstellen im Dachgeschoss

Der "Zweigausschuss Baden für deutsche Jugendherbergen" wurde am 25. April 1920 in der Landeshauptstadt Karlsruhe, und zwar in der Aula des Bismarckgymnasiums, gegründet. Erster Vorsitzender wurde der Gymnasiallehrer Karl Broßmer, der an der Bildung des Landesverbandes entscheidenden Anteil hatte. Während in Gengenbach, Lahr, Villingen, Meersburg, Falkau und Rinken am Feldberg schon im Sommer 1920 die ersten Behelfsunterkünfte für junge Wanderer bereitgestellt wurden, gab es in Karlsruhe erst seit 1922 eine solche Einrichtung im Dachgeschoss des Hauptversorgungsamts, das sich in der ehemaligen Neuen Artilleriekaserne in der Moltkestraße 8 befand. Es handelte sich dabei zunächst nur um einen größeren Raum mit 30 Schlafstellen, der etwas später noch um einen zweiten erweitert wurde. Einen Aufenthaltsraum oder besonderen Waschraum und Abort für die ausschließlich männlichen 'Herbergsgäste' gab es nicht. Dennoch erfreute sich die erste Karlsruher "Jugendherberge" hoher Besucherzahlen: Im Jahr der Eröffnung verzeichnete sie 714 Gäste, 1923 bereits 1.916, 1924 1.234 und 1925 sogar 2.296 Besucher.

1928: Platz für 65 männliche Gäste

Das unzulängliche Raumangebot und die ungünstige Lage führten schon Mitte der 1920er-Jahre zur Überlegung, die Jugendherberge in das Luisenhaus in der Baumeisterstraße 56 zu verlegen, in dem seit 1924 auch das Jugendheim untergebracht war. Als das Versorgungsamt 1928 die zwei Dachgeschossräume wieder für sich beanspruchte, stellte die Stadtverwaltung die bisher von der Volksküche im Luisenhaus genutzten Zimmer für Herbergszwecke zur Verfügung. Am 14. Oktober 1928 fand in Gegenwart von Bürgermeister Heinrich Sauer, dem Verbandsvorsitzenden und Referenten für Jugendpflege im Kultusministerium Broßmer, Jugendamtsleiterin Elisabeth Großwendt und zahlreichen Karlsruher Jugendbünden die feierliche Eröffnung der "neuen Jugendherberge" statt.

Die Herbergsräume lagen im nördlichen Gebäudeflügel und umfassten im Erdgeschoss zwei Schlafsäle, einen Schlafraum für Jugendführer, einen Tagesraum mit Gasherd für die Zubereitung kleinerer Mahlzeiten, im Dachgeschoss vier weitere Zimmer und im Untergeschoss einen Wasch- und Baderaum sowie einen Fahrradkeller. Insgesamt konnten bis zu 65 männliche Gäste in der Einrichtung, die von der Karlsruher Ortsgruppe des badischen Jugendherbergsverbands betrieben wurde, unterkommen. Im Juni des folgenden Jahres überließ die Stadtverwaltung der Ortsgruppe weitere Räume im Luisenhaus, damit auch junge Wanderinnen in der Herberge übernachten konnten.

1934: 120 Betten für Jungen und Mädchen

Als die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) 1934 den Gebäudekomplex an der Ecke Rüppurrer- und Baumeisterstraße für sich beanspruchte, wurde die "Jugendherberge für Mädchen und Knaben" in das ehemalige Garnisonslazarett in der Gartenstraße 56 b (von 1939-1945 in Günther-Quandt-Straße 2 umbenannt) verlegt. Angesichts der steigenden Nachfrage - 1937 wurden rund 10.000 Übernachtungen verzeichnet - erwies sich die mit 120 Betten ausgestattete Behelfslösung schon bald als zu klein. Daher schrieb der badische Landesverband im Reichsverband für Deutsche Jugendherbergen Anfang März 1938 unter den Karlsruher Architekten, auch solchen im Angestelltenverhältnis, einen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für eine "Großjugendherberge" auf dem Areal des ehemaligen Rüppurrer Schlosses aus. Die Baukosten sollten von der Stadt übernommen werden.

Den mit 1.000 RM dotierten ersten Preis gewann Alex Bierig, dessen Planung einen funktionalen Neubau mit 300 Betten vorsah, der im rechten Winkel zur vorhandenen Zehntscheuer, dem einstigen Fohlenstall, zu stehen kam. Nach seiner Fertigstellung sollte auch die Zehntscheuer zur Aufnahme von Massenschlafräumen umgebaut werden, so dass zu Hauptverkehrszeiten bis zu 1.000 Wanderer Unterkunft finden konnten. Am 15. April 1939 fand im Beisein von Oberbürgermeister Oskar Hüssy und Obergebietsführer Friedhelm Kemper die Grundsteinlegung für den Bau statt, der allerdings über Ansätze nicht hinauskam. So verblieb die Jugendherberge bis zu ihrer Zerstörung bei einem Bombenangriff gegen Jahresende 1944 in dem Gebäudekomplex Ecke Garten- und Jollystraße.

1953: Neubau am Engländerplatz

Mit dem Wiederaufbau des "Badischen Jugendherbergswerks" seit 1946 und der Gründung des Karlsruher Ortsvereins im März 1947 rückte auch die Wiedererrichtung einer Jugendherberge in den Fokus, für welche die Stadtverwaltung von Anfang an ihre Unterstützung zusagte. 1952 gelang es der Stadt, mit dem Land einen Erbbauvertrag über den künftigen Bauplatz von Jugendheim (heute "Haus der Jugendverbände 'Anne Frank'") und Jugendherberge am Engländerplatz abzuschließen. Zugleich stellte sie 258.000 DM für den Herbergsneubau bereit. Nach einem Vorentwurf durch das Städtische Hochbauamt wurde die Planung im August 1952 der Karlsruher Architekten-Arbeitsgemeinschaft Adam Stöbener, Hans Wetzel und Edwin Burkart übertragen. Schon an Pfingsten 1953 nahm die neue Jugendherberge inoffiziell ihren Betrieb auf, für den wieder der badische Landesverband des DJH verantwortlich zeichnete, der auch die Inneneinrichtung der Herberge übernommen hatte. Das zweigeschossige Gebäude mit Satteldach verfügte über 100 Betten in vierzehn Acht- und Sechs-Bett-Zimmern und moderne Dusch-, Wasch- Aufenthalts- und Wirtschaftsräume. 30 zusätzliche Matratzen waren für eventuelle Notlager im Dachgeschoss vorhanden.

Ansicht der Karlsruher Jugendherberge von 2007 nach den Umbauten und der Modernisierung von 1966/1980, Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Erbacher 385

1966/1980: Umbau und Modernisierung

Bis zum 31. August 1953 konnte die Jugendherberge bereits 11.159 Übernachtungen verzeichnen. Die Belegung im Juli und August hatte durchschnittlich bei 210 Personen gelegen, was nur durch einen provisorischen Ausbau des Dachstocks zu bewältigen gewesen war. 1962 wurde der Karlsruher Architekt Hellmut (!) Riedel mit der Erweiterung der Jugendherberge beauftragt. Der mit 415.000 DM veranschlagte Anbau, welcher im rechten Winkel an der Nordseite des Gebäudes zu stehen kam, war 1966 fertig gestellt. Die offizielle Übergabe des An- und Umbaus - die Herberge verfügte nun über 228 Betten - erfolgte aber erst im Rahmen der Bundesgartenschau anlässlich der "Woche des Wanderns" am 19. Mai 1967 durch den Stadtrat und Vorsitzenden des Stadtjugendausschusses Max Singer.

Fehlende Tagungsräume, veraltete sanitäre Anlagen und primitive Schlafräume ließen seit Beginn der 1970er-Jahre die Belegung stetig sinken. Verzeichnete das Haus 1969 noch 24.000 Übernachtungen, so 1974 nur noch 15.837. Von 1973-1976 verhandelte der badische Landesverband des DJH mit der Stadt über einen Herbergsneubau im Stadtteil Rüppurr, bevorzugt auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses. Das Projekt wurde schließlich aufgegeben und dafür zum Jahresende 1978 die Modernisierung und beschränkte Erweiterung des bestehenden Hauses am Engländerplatz in Höhe von 2,3 Millionen DM beschlossen. Am 8. November 1980 fand die Wiedereröffnung der um ein und zwei Geschosse erhöhten Jugendherberge statt, die nun über 182 Schlafstätten, sechs Tagungsräume, einen vergrößerten Speisesaal und neue sanitäre Anlagen verfügte. Seitdem lagen die Zahlen bis einschließlich 2019 durchschnittlich bei 30.500 Übernachtungen pro Jahr. Dennoch wird seit 2011 über einen Neubau mit rund 250 Betten beim Traugott-Bender-Sportpark in der Waldstadt diskutiert, da die derzeitige Ausstattung des Hauses mit Mehrbettzimmern ohne eigenes Bad und Toilette nicht mehr dem Komfort einer zeitgemäßen Jugendherberge entspricht.

Dr. Katja Förster, Historikerin, Karlsruhe

 

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