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Blick in die Geschichte Nr. 130

vom 19. März 2021

Carlsruher Blickpunkte

Zerstörte Stühle im Bürgersaal

von Ernst Otto Bräunche

"Saalschlacht im Karlsruher Bürgerausschuss" - "Das Rathaus als Nazikaschemme" - "Unerhörte Skandalszenen im Rathaus": mit diesen Titelschlagzeilen erschienen am 12. Mai 1931 Karlsruher Tageszeitungen. Sie berichteten ausführlich über eine Schlägerei am Vortag anlässlich der Haushaltsberatungen, als es zunächst zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten gekommen war, die in eine von den Nationalsozialisten provozierte Schlägerei ausgeartet waren. Tische und Stühle gingen zu Bruch und die Polizei musste eingreifen. Zehn Verletzte und Sachschaden von über 2.500 Reichsmark waren die Bilanz.

Zerstörte Stühle im Bürgersaal infolge der Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in der Bürgerausschusssitzung am 11. Mai 1931, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oXI 355

Schwerer wog allerdings, dass die Nationalsozialisten nun auch den Bürgersaal zum Podium ihrer antidemokratischen Auftritte gemacht hatten, die das Klima dort nachhaltig veränderten. Dies hatten sie auch schon im Badischen Landtag geschafft. Seit der Landtagswahl vom Oktober 1929 saßen auch sechs nationalsozialistische Landtagsabgeordnete im traditionsreichen Ständehaus, die ihre Auftritte für Angriffe auf politische Gegner, Juden und generell auf die Weimarer Demokratie nutzten. Dass sie die Demokratie abschaffen wollten, war schon bald zu erkennen gewesen, obwohl versucht wurde, die vorgegebene Linie des NSDAP-Fraktionsvorsitzenden Walter Köhler einzuhalten. Köhler erklärte einerseits öffentlich, den "Saustall" Demokratie durch die Diktatur abzulösen, forderte aber gleichzeitig dazu auf, bei verbalen Attacken trotz Republikschutzgesetz immer nur an die Grenze des Erlaubten zu gehen.

Im Landtag waren seit 1929 Ordnungsrufe des Landtagspräsidenten an der Tagesordnung. Am 19. Dezember 1930 kam es dann zu einer ersten von der NSDAP provozierten Schlägerei zwischen dem Zentrumsabgeordneten Fridolin Heurich, in der Nachkriegszeit Karlsruher Bürgermeister und CDU-Landtagsabgeordneter, und dem Lehrer Herbert Kraft (NSDAP), der daraufhin von der Sitzung ausgeschlossen wurde. Herbert Kraft, der noch ein zweites Mal Ausgangspunkt einer Prügelei war, galt als Enfant terrible des Landtags und wurde zweimal für 60 Tage von den Sitzungen ausgeschlossen. Diese Skandalauftritte im Landtag sorgten für - erwünschte - Schlagzeilen in der gegnerischen und vor allem im eigenen Presseorgan "Der Führer".

Daran knüpften die Nationalsozialisten im Bürgerausschuss nahtlos an. Der Hauptakteure der Rathausschlacht auf Seiten der NSDAP Ludwig Streit erhielt wie sein Hauptkontrahent Hermann Böning von der KPD zwei Monate Gefängnisstrafe. 14 weitere Stadtverordnete wurden zu Geldstrafen zwischen 30 und 60 Mark verurteilt. Streit, der als Verwaltungsassistent bei der Stadt beschäftigt war, erhielt zudem einen dienstlichen Verweis und eine Geldstrafe, wurde aber nicht entlassen. Nicht belangt wurde auch der Fraktionsvorsitzende der NSDAP Adolf Friedrich Jäger, Direktor der städtischen Hauptkasse und späterer NS-Oberbürgermeister.

Die zerstörten Stühle des Bürgersaals stehen für die sukzessive Untergrabung der Weimarer Demokratie durch die Nationalsozialisten in den Orten der Demokratie. Deren Ende war mit der Ernennung Adolf Hitlers auf Betreiben rechtskonservativer Kreise zum Reichkanzler am 30. Januar 1933 gekommen. Herbert Kraft wurde bezeichnenderweise letzter Landtagspräsident vor dessen Auflösung zu Beginn des Jahres 1934.

Dr. Ernst Otto Bräunche, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte"

 

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