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Blick in die Geschichte Nr. 135

vom 17. Juni 2022

Biographie Hermann Robert Dietrich

Der aus einer Pfarrersfamilie stammende südbadische Jurist Hermann Dietrich trat 1906 in die Karlsruher Stadtverwaltung ein. Bereits zwei Jahre später wurde er zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister der Gemeinde Kehl gewählt, wo er sich durch eine intensiv betriebene Modernisierungspolitik großes Ansehen erwarb. Dies brachte ihm 1911 einen Sitz der Zweiten Kammer der badischen Landstände ein, den er für die Nationalliberalen mit großer Mehrheit errang. In seiner Partei gehörte Dietrich vor 1918 zum linken Flügel, der hinter dem damaligen Bündnis mit der SPD, dem sogenannten "Großblock" stand. Eine solche Koalition verhalf ihm 1914 auch zum Amt des Oberbürgermeisters von Konstanz. Kriegsbedingt konnte er sich hier zwar kaum als Reformer hervortun, er erwies sich jedoch als geschickter Organisator.

Hermann Dietrich (1879-1954)

Nach der Revolution 1918 übernahm Dietrich in der republikanischen badischen Regierung in Karlsruhe das Außenministerium bis zu dessen Auflösung 1920. Bei den Verhandlungen über die Reichsverfassung setzte er sich für die Bewahrung der Länderrechte ein. Einer Vereinigung von Baden und Württemberg stand er damals wie nach dem Zweiten Weltkrieg ablehnend gegenüber. Parteipolitisch gehörte der sehr selbstbewusst auftretende Dietrich nach der Revolution 1918 zur engsten Führungsriege der Liberalen in Baden.

Doch seine politischen Karriereziele richteten sich bald auf die Reichsebene. Schon 1919 war er kurzzeitig Mitglied der deutschen Nationalversammlung, von 1920 bis 1933 Mitglied des Reichstages. Finanziell durch das Vermögen seiner ersten Frau Elisabeth († 1921) unabhängig siedelte er 1922 nach Berlin über. Die gesellschaftliche Stellung seiner zweiten Frau Martha öffnete Dietrich dann den Zugang zu einflussreichen Kreisen in der Reichshauptstadt, was seiner politischen Karriere förderlich war: 1924 gelangte er in den Hauptvorstand der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), 1928 wurde er Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft. Nach dem Scheitern der Großen Koalition 1930 arbeitete er auch in den Präsidialkabinetten unter Heinrich Brüning mit: so vor allem von 1930 bis 1932 als Reichsfinanzminister und Vizekanzler. Als Chef des Finanzressorts steuerte er in erheblichem Maße die Deflationspolitik, mit der die Reichsregierung auf die Weltwirtschaftskrise reagierte, die jedoch verheerende soziale Auswirkungen zeitigte. Dietrich hielt sie lange Zeit aber für den einzig gangbaren Weg. Die antidemokratischen Ziele, die Reichspräsident v. Hindenburg und seine Gefolgschaft damals in die Reichsregierung hineintrugen, lehnte er indes ab.

Nach der Machtübernahme der NSDAP musste sich Dietrich aus der Politik zurückziehen und arbeitete bis 1945 als Rechtsanwalt. Das Ende des NS-Regimes gestattete ihm die Rückkehr auf die politische Bühne: Höhepunkt war seine Tätigkeit als Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung der Bizone (1946–1947). Er starb 1954 in Stuttgart.

Dr. Martin Furtwängler, Historiker, Karlsruhe

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