Menü
eService
Direkt zu
Suche
eService – Ihr Anliegen bequem Online erledigen
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 137

vom 23. Dezember 2022

„Häuser denen, die drin wohnen“

Die Hausbesetzung in der Stephanienstraße

von Alexandra Kaiser   

Bei dem Stichwort Hausbesetzungen denken die meisten sicher an das Frankfurter Westend, Berlin Kreuzberg oder die Hamburger Hafenstraße. In Karlsruhe ist aber bis heute die Steffi in der Stephanienstraße 60-64 fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Am 30. November 1990 wurde das Haus von circa 100 Personen besetzt. Das Gebäude, eine ehemalige zahntechnische Fabrik, mit über 2.000 Quadratmetern Nutzfläche war seit 1978 im Besitz der Evangelischen Stadtmission und stand zuvor zwölf Jahren leer.

Vorbereitung und Ziele der Besetzung

Die Besetzung der „Steffi“ war circa vier Monate lang von einer Gruppe konspirativ vorbereitet worden, darunter viele ehemalige Bewohner und Bewohnerinnen der in Karlsruhe geräumten Häuser und Aktive aus dem MieterInnenladen. Zur damaligen Zeit standen verschiedene Gebäude in der Karlsruher Innenstadt leer, ein übergeordnetes Ziel der Besetzungsaktion war daher, auf den Leerstand und den daraus resultierenden fehlenden Wohnraum hinzuweisen. Die Entscheidung für das Gebäude in der Stephanienstraße fiel, weil hier verschiedene Aspekte zusammenkamen, die den Erfolg einer Besetzung nach Überzeugung der Beteiligten begünstigten: Ein Hauptargument war die zentrale Lage in der Innenstadt, die große öffentliche Aufmerksamkeit garantierte und ein heimliches Beenden der Besetzung durch die Polizei quasi unmöglich machte. Auch die Dauer des Leerstandes und die Besitzverhältnisse spielten eine wichtige Rolle. So spekulierte man darauf, dass die Stadtmission als kirchliche und soziale Institution, wollte sie ihr Image nicht verspielen, weniger hart auftreten und nicht ohne Gespräche räumen würde. Nicht zuletzt boten die Gebäude großzügige Räumlichkeiten für Kultur und ideale Möglichkeiten zur Nutzung für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt.
 

Fest zur fünfjährigen Besetzung der Steffi, Foto 1995

Die Besetzer forderten von der Stadtmission einen Nutzungsvertrag für die Steffi. Tatsächlich erklärte sich die Stadtmission aufgrund des öffentlichen Drucks nach vier Tagen zu Verhandlungen bereit und am 24. Dezember wurde ein Vertrag geschlossen, der allerdings zunächst bis Ende April 1991 befristet war. Später einigte man sich auf eine Befristung der Nutzung und eine Räumungspflicht bis zur Vorlage einer Baugenehmigung. Im Januar 1991 lebten 37 Menschen im Alter zwischen 17 und 48 Jahren in der Steffi. Männer waren deutlich in der Überzahl, nur ungefähr ein Viertel der Bewohner waren Frauen.

Die Steffi sollte von Beginn an mehr als ein Wohnprojekt sein, sie wurde zum Treffpunkt, Diskussions- und Feierort der politischen radikalen Linken in Karlsruhe. Hier wurden Informationen ausgetauscht, Demonstrationen vorbereitet und politische Aktionen geplant, die Karlsruher Antifa hatte hier ihr Zentrum. Im Keller gab es einen Raum für Konzerte und die legendäre Haifischbar, außerdem ein offenes Café im Erdgeschoss. Ein sonntäglicher Frühstückstreff und die Volxküche, die aus dem Südstadtforum hierher umgezogen war, gehörten ebenfalls zum Angebot für Gäste. Neben Konzerten, Partys und Verpflegung gab es regelmäßig politische Veranstaltungen, Filmabende und Diskussionen. Dies hatte die rechte Szene fest im Blick. Es gingen Drohbriefe auch von Hooligans ein, es kam zu Anschlägen und Überfällen. 

Vorzeitige Kündigung durch die Stadtmission

Anders als vertraglich vereinbart, kündigte die Stadtmission den Nutzungsvertrag aber bereits zum 31. Juli 1992 wieder. Am 18. Dezember 1992 gab das Amtsgericht der Räumungsklage schließlich statt. Gegen das Urteil legten die Steffi-Bewohner am Landgericht Berufung ein. Als Begründung für die Kündigung führte die Klägerin ein „unzumutbares Vertragsverhältnis“ und Vertragsbrüche wie das Aushängen von Transparenten an. Im Mai 1993 endete die gerichtliche Auseinandersetzung mit einem Vergleich: Transparente an der Hausfassade wurden verboten und von der Stadtmission beauftragten Personen musste nach Ankündigung Zutritt gewährt werden. Im Gegenzug wurde gerichtlich festgelegt, dass die Stadtmission eine Kündigung mit sechswöchiger Räumungsfrist erst dann aussprechen durfte, wenn eine Baugenehmigung vorlag - im Grunde wurden so die Bestimmungen des vorherigen Vertrags wieder in Kraft gesetzt.

Gut drei Jahre blieb es in der Auseinandersetzung mit der Stadtmission dann relativ ruhig. Am 22. Juli 1997 wurden die Steffi-Bewohner und Bewohnerinnen – inzwischen war ihre Zahl auf knapp 60 angewachsen – schriftlich aufgefordert das Gebäude innerhalb der gerichtlich festgelegten sechs Wochen zu räumen. Die Stadtmission hatte für die Stephanienstraße 56-64 einen Bauantrag eingereicht. Am 30. August demonstrierten nach einem bundesweiten Aufruf über 1.000 Menschen gegen die bevorstehende Räumung. In der Steffi begannen der Barrikadenbau und die Vorbereitungen auf die befürchtete gewaltsame Räumung durch die Polizei. Entgegen der ursprünglichen Positionierung kippte im Laufe des Sommers innerhalb der Steffi allerdings die Stimmung und als am 25. August, eine Woche vor Ende der Räumungsfrist, die Stadtverwaltung Verhandlungen über ein Ersatzobjekt anbot, stimmten die Bewohnerinnen und Bewohner nach kontroversen internen Diskussionen schließlich mehrheitlich dafür. Am 5. September nahm die Steffi-Vollversammlung den auf drei Jahre befristeten Vertrag mit der Stadt zur Überlassung der Schwarzwaldstraße 79 als Alternativobjekt an. 

Ex-Steffi in der Schwarzwaldstraße 79, Foto 2003

Die Ex-Steffi in der Schwarzwaldstraße

Am 15. September erfolgte der Umzug, dem sich allerdings weitaus nicht alle anschlossen. Damit ging die Geschichte der Steffi in der Schwarzwaldstraße als Ex-Steffi weiter. Die politische Arbeit und regelmäßige Veranstaltungen aus der Stephanienstraße wurden fortgesetzt. Erhalten blieben die Konflikte über Rechte und Pflichten – nun direkt mit der Stadt als neuer Vermieterin, u. a. über die Nutzung der von der Hochschule für Gestaltung (HfG) genutzten Flügel des Gebäudes Schwarzwaldstraße 79. Als die Stadt die Inneneinrichtung in dem Flügel nach Auszug der HfG am 16. Dezember 2000 durch Polizeieinheiten zerstören und einige Tage später Fenster und Türen zumauern ließ, gab es deutliche Kritik im Gemeinderat, als die Fraktionsvorsitzende der Grünen Christa Caspari, die Aktion eine „völlig überzogene Machtdemonstration“ nannte. Das Badische Tagblatt titelte „Zerstörung aus Sorge um Investoren?“ und die Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) schrieben von einer „Nacht und Nebel-Aktion“. Eine, wenngleich kurze Besetzung des HfG-Flügels fand zwei Jahre später dann tatsächlich noch statt. Am 3. Januar 2003 ließ die Stadt die Besetzung durch Polizeikräfte beenden und die Räume anschließend gleich wieder zumauern. 

Bereits im Mai 2002 hatte die Stadt in einem Schreiben an die Ex-Steffi-Bewohner angekündigt, dass der Mietvertrag nach Auslaufen im September 2003 auf keinen Fall verlängert werden könnte. Am 4. Oktober 2003 fand eine erste Demonstration durch die Karlsruher Innenstadt für den Erhalt der Ex-Steffi statt. Ein Angebot der Ex-Steffi, das Gebäude gemeinsam mit dem Freiburger Mietsyndikat für eine Million Euro zu kaufen, wurde nicht aufgegriffen. Am 27. Juli 2004 begann der „Prozess zur Güte“ zwischen der Ex-Steffi bzw. dem Verein für selbstbestimmtes Leben und der Stadt vor dem Landgericht. Die gerichtliche Auseinandersetzung endete beim zweiten Gütetermin am 18. August 2004 mit einem Vergleich: Das Wohnrecht für die Ex-Steffi wurde ein weiteres Mal bis zum 31. Januar 2006 verlängert, wobei Neueinzüge ausgeschlossen waren. Außerdem musste weiterhin Miete gezahlt werden. Eine Lösung des Konflikts war damit aber nicht gefunden. 

Nach Auslaufen der Duldungsfrist am 31. Januar 2006 war die Ex-Steffi de facto (wieder) ein besetztes Haus. Am 17. Februar 2006 erklärte die Stadt die Gespräche schließlich für gescheitert. Während man in der Ex-Steffi offenbar immer noch hoffte, die Räumung doch wieder „irgendwie“ abwenden zu können, machte die Stadt am 6. April 2006 ernst und ließ am frühen Morgen durch Einheiten der Bereitschaftspolizei räumen. Die Räumung verlief ohne aktiven Widerstand der Bewohner und Bewohnerinnen, 21 Personen wurden vorläufig festgenommen. Noch am Abend der Räumung fanden auf dem Karlsruher Marktplatz sowie in einigen weiteren Städten Protest- und Solidaritätskundgebungen statt. Wenige Tage nach der Räumung erfolgte der Abbruch des Gebäudes. Die Ex-Steffi als eine für Karlsruhe prägende politische und (sub)kulturelle Institution und zugleich das „letzte große selbstverwaltete Wohn- und Kulturprojekt in Süddeutschland“ war damit Geschichte.

Dr. Alexandra Kaiser, Referentin im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg

Ausführlich zum Thema informiert der Beitrag der Autorin: „Hausbesetzungen und alternative Wohn- und Kulturprojekte seit den 1980er Jahren in Karlsruhe, in: Manfred Koch (Hrsg.): Bewegte Zeiten“. Beiträge zur Karlsruher Stadtgeschichte, Ubstadt-Weiher u. a. 2022, S. 133-162 (= Forschungen und Quellen zur Stadtgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Band 21).

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben