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Blick in die Geschichte Nr. 139

vom 16. Juni 2023

 "Eines schickt sich nicht für Alle!"

Zum Wirken der Modeschöpferin Emmy Schoch (1881-1968)

von Aliena Guggenberger

 

Die Frauen des ausgehenden 19. Jahrhunderts teilten eine Gemeinsamkeit: die S-förmige Silhouette und den eher steifen Gang. Ein Korsett aus Fischbeinstäben, das die Taille eng schnürte, mehrere Schichten schwerer, hochdekorierter Röcke mit Schleppe und ein Stehkragen erschwerten den weiblichen Alltag um die Jahrhundertwende, teils mit gravierenden gesundheitlichen Folgen. Konträr dazu standen die Forderungen der Frauenbewegung, die der Frau uneingeschränkte Entfaltung im öffentlichen Leben verschaffen wollte. Als besonders engagierte Vertreterin der heute fast vergessenen Reformkleid-Bewegung machte sich die Karlsruher Modeschöpferin Emmy Schoch die Befreiung des weiblichen Körpers zur Aufgabe.

 

Kindheit und Ausbildung

1886 beschloss der Apotheker Carl Schoch, gemeinsam mit seiner Frau und den fünf Kindern die Kleinstadt Lichtenau zu verlassen und in die badische Residenzstadt zu ziehen. Als die Familie zwei Jahre später ein Haus in der Lessingstraße bezog, war die jüngste Tochter Emilie Hermine, genannt Emmy, sieben Jahre alt. Wie ihre Schwester begann sie 1894 ein Klavierstudium am Großherzoglichen Konservatorium für Musik. Obwohl Emmy es bis zur Meisterschülerin des Gründers Heinrich Ordenstein brachte, beendete sie ihr Studium nach wenigen Jahren krankheitsbedingt.

Emmy Schoch mag schon als Kind Gefallen an den Tätigkeiten der Kleidermacherin und der Näherin, die zur Untermiete im Haus ihres Vaters wohnten, gefunden haben. Nicht zuletzt ihre natürliche Begabung für die Stickerei brachte die Entscheidung zur zweiten Berufswahl als Schneiderin und Kunstgewerblerin. Ganz im Sinne der kunstgewerblichen Reformbewegung, die das Handwerk priorisierte, betonte Schoch später in einem Vortrag, dass man erst Schneider, dann Künstler sein müsse. Obwohl Carl Schoch selbst lange mit Textilien handelte, hätte die Familie sich für die Tochter einen anderen Lebensweg gewünscht. Wie Frauen mit künstlerischen Ambitionen hatten auch Schneiderinnen in diesen Jahren mit Restriktionen in ihrer Ausbildung zu kämpfen. Erst mithilfe von Fachverbänden und gesetzlichen Anpassungen begann sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die gleichberechtigte Lehrzeit für beide Geschlechter langsam durchzusetzen. Mit etwa zwanzig Jahren ging Emmy Schoch nach Berlin. Ihre dort absolvierte Ausbildung zur kunstgewerblichen Schneiderin im Atelier Pauline Winker am Kurfürstendamm war wegweisend für ihre gestalterischen Prinzipien und Ideale.
 

Emmy Schoch, 1911

Engagement für eine verbesserte Frauenkleidung in Karlsruhe

Seit 1896 war die Reformkleid-Bewegung in der Freien Vereinigung zur Verbesserung der Frauenkleidung institutionalisiert. Deren Einsatz für zweckmäßige, korsettlose Kleider wurde zunächst von Medizinern, dann von bekannten Jugendstil-Künstlern und schließlich von immer mehr Frauen unterstützt. Die Ästhetik der lockeren Hängekleider, deren Bezeichnungen von "Sackkleid" über "Künstlerkleid" bis zum "Eigenkleid" reichten, wurden in den Medien diskutiert, Entwürfe in Ausstellungen präsentiert. Zu den Reformkleid-Trägerinnen erster Stunde zählten progressiv denkende Studentinnen, Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen. Diese Impulse nahm Emmy Schoch von Berlin mit in ihre Heimat, um 1906 in der Karlsruher Herrenstraße eine "Werkstätte für neue Frauentracht und künstlerische Stickerei" zu eröffnen. Der 1902 gegründete Karlsruher Verein für Verbesserung der Frauenkleidung mit der Kommunalpolitikerin Anna Richter und der Malerin Dora Horn im Vorstand hatte in Baden bereits die Weichen für diese Thematik gestellt. Mit regelmäßigen "Bunten Abenden" und Ausstellungen zählte der Karlsruher Verein 1912 450 Mitglieder.

Neben ihrer praktischen Tätigkeit plädierte Emmy Schoch in Aufsätzen und Vorträgen dafür, der Schneiderei als künstlerischem Handwerk den nötigen Respekt zu zollen und forderte damit die Enthierarchisierung der künstlerischen Berufe, die bis dato in freie und angewandte Künste unterschieden wurden. Ihre Einstellung gab Schoch an nachfolgende Generationen von Lehrlingen weiter, die sie von der Eröffnung ihres Ateliers bis zu ihrem Ruhestand 1954 ausbildete. Das Angebot von Schneider- und Stickereikursen führte sie auch kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs fort, als sie ihrer Werkstätte eine Schule angliederte. Für ihre Leistungen als Ausbilderin erhielt sie 1926 vom badischen Landesgewerbeamt eine Auszeichnung.

 

Emmy Schoch als Unternehmerin

In den Jahren 1908 bis 1914 unternahm Schoch vermehrt Reisen durchs Land, um Vorträge mit Titeln wie "Frauenwohl - Frauenschönheit - Frauenkleidung" oder "Die Neutracht" zu halten und auf diesem Weg möglichst viele Frauen von der Notwendigkeit einer reformierten Mode zu überzeugen. Im Anschluss zeigte sie ihre neuesten Modelle und gewann so zunehmend Kundinnen auch außerhalb von Karlsruhe. Die Präsentation ihrer Entwürfe an einem lebendigen Mannequin sowie die Gewohnheit, selbst als Modell durch die Reihen zu spazieren, waren neu. Weil die fließende Körperlinie zu Schochs gestalterischen Prämissen gehörte, wären ein Holzmodell oder eine steife Puppe nicht infrage gekommen. In ihrem 1913 erschienenen Katalog "Deutsche Typenkleider" findet sich ihre Unternehmensphilosophie: Das Vorwort beginnt mit dem Goethe-Zitat "Eines schickt sich nicht für alle" und verdeutlicht, dass Frauen mit Geschmack ihre Kleidung auf ihre Individualität abstimmen sollten, statt sich vom "Taktstock der Mode" dirigieren zu lassen. Appelle wie diese, formuliert auf den Vortragstouren und in zahlreichen Aufsätzen in der Verbandszeitschrift "Neue Frauenkleidung und Frauenkultur", ließen Emmy Schoch zur überregional bekannten Modeschöpferin avancieren. Die (kunst)handwerkliche Perfektion ihrer Entwürfe, auf Figur und Persönlichkeit der jeweiligen Kundin maßgeschneidert, wurde zum Erfolgsgaranten.

Titelseite Deutsche Typenkleider, 1913

"Volkskleid deutscher Prägung"

Neben der fortschrittlich-emanzipatorischen Komponente beinhalteten die Bestrebungen zur Reformmode schon früh die Tendenz zum Nationalismus. Mit der Ablehnung des Pariser Modediktats eng verknüpft war die Stereotypisierung der puppenhaften, auf Sensation und Erotik gierenden Französin im Kontrast zur zurückhaltenden, arbeitsamen Deutschen. Auch Emmy Schoch verfolgte - im eigenen Interesse - das Ziel einer Stärkung der inländischen Modebranche und somit einer deutschen "Weltmode". Schochs regelmäßige Besuche in Berlin der 1920er Jahre hatten ihr den Eindruck vermittelt, dass die lukrative und in ihrem Auge überhetzte Konfektionsindustrie vollkommen in jüdischer Hand lag. Sie sah einen Mangel darin, dass Modearbeit zum rein wirtschaftlichen Vorteil Pariser Modelle kopierte. Stattdessen rühmte sich Schoch "selbstschöpferisch" tätig zu sein und wollte als Mitglied der NS-Frauenschaft die nationalsozialistische Weltanschauung auch im Modeschaffen integriert wissen. Nachdem die Bewerbung beim Berliner Mode-Amt gescheitert war, hatte sie die Vision ihrer eigenen Meisterschule. Hier sollte exzellentes Personal ausgebildet und Nachwuchs zum spezifisch deutschen Geschmack erzogen werden sollte. Im November 1933 traf Schoch sich mit dem Direktor der Kunsthalle Adolf Bühler und erhoffte sich mit seiner Hilfe den Zugang zum Weltmarkt der Mode. Bühler hatte wenige Monate zuvor in Karlsruhe die Ausstellung "Regierungskunst 1919-1933" initiiert und damit seine Vorstellung völkischer Kultur demonstriert. Die vor diesem Hintergrund 1935 eröffneten "Badischen Werkstätten und Modellschule für das deutsche Kleid" blieben allerdings nur zwei Jahre Teil von Schochs Unternehmen.

Trotz der anfänglich fortschrittlichen Impulse zur Befreiung der Frau aus dem Korsett und dem Modediktat kippte Emmy Schoch in die fanatische Ideologie einer der deutschen Wesensart angepassten Mode. Die von ihr immer wieder betonte "handwerkliche deutsche Wertarbeit" erhielt in ihren Äußerungen im Verlauf der 1930er Jahre noch stärkeren Nachhall. Ihr Werdegang dient als Beispiel dafür, wie sich politische Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Gestaltungsbereich Mode auswirkten.

Dr. Aliena Guggenberger, Kunst- und Modehistorikerin

Ausführlich mit Anmerkungen und Quellennachweis: Aliena Guggenberger: Emmy Schoch, Karlsruhe 2023 (= Karlsruher Köpfe. Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe Bd. 6). 

Die Dissertation der Autorin ist online erschienen: Das System Reformkleid. Die Karlsruher Modeschöpferin Emmy Schoch und die Erneuerung der Frauenkleidung um 1900, München 2023 https://edoc.ub.uni-muenchen.de/31673/ (Zugriff am 9. Juni 2023)

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