Menü
eService
Direkt zu
Suche
eService – Ihr Anliegen bequem Online erledigen
Karlsruhe interaktiv – wichtige Website-Funktionen

Blick in die Geschichte Nr. 140

vom 15. September 2023

Otto Härdle (1900-1978)

Ein Karlsruher Sozialdemokrat und Volksschullehrer während der Zeit des Nationalsozialismus

von Jürgen Treffeisen

"Mit den Wölfen heulen - Was blieb uns anderes übrig? Obwohl wir sahen, wie die Fahrt der "Großdeutschen" schneller und schneller dem Abgrund entgegen ging, wir mußten mit den Wölfen heulen", so Otto Härdle 1977.

Es ist leicht für uns Nachgeborene derartige Erklärungsversuche von Menschen, die während des Nationalsozialismus in Deutschland lebten, als platte Entschuldigungsversuche abzutun. Doch war es wirklich so einfach, als zweifacher Familienvater mit einer expressiven sozialdemokratischen Vergangenheit aktiv Widerstand zu leisten oder in einer anderen Form gegen das Regime vorzugehen?

Berta und Otto Härdle anlässlich ihrer Verlobung am 17. Mai 1925

Das Lehrerehepaar Berta und Otto Härdle nahm seit 1927 in mehreren Zeitungsartikeln und Leserbriefen in der sozialdemokratischen Zeitung "Volksfreund" Stellung zu aktuellen politischen Fragen. Scharf, deutlich und furchtlos kritisierte Otto Härdle beispielsweise 1929 die NSDAP: "Macht nur eure Purzelbäume ihr Stahlhelmer und Hakenkreuzler, mit dieser fetten, schwammigen Spießermasse schafft ihrs nicht! Wir werden indessen das geistig wachende Volk der Arbeiter, das Jungvolk, zusammenführen und sie zum Bewußtsein ihrer Klassenlage führen und der Tat entgegengehen".

 

Ein Pakt mit dem Teufel!? - Lehrer in Karlsruhe und im Elsass

Im August 1933 - wenige Monate nach der Machtübertnahme durch die Nationalsozialisten - wurde die Gefahr für die junge Familie plötzlich ganz real. In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1933 führten Polizisten und SA-Leute eine Hausdurchsuchung bei ihnen durch. "Sie haben Druckschriften am Konzerthaus verteilt. […] Sie sind gesehen worden", warf man Berta Härdle vor. Sie stritt alles ab. Die Hausdurchsuchung verlief glimpflich, es wurde nichts Belastendes gefunden.
Die Grundprinzipien der nationalsozialistischen Weltanschauung musste sich nun Otto Härdle als Lehrer mehr oder weniger zumindest nach außen hin zu eigen machen. Am 5. Februar 1934 begutachtete das Stadtschulamt Karlsruhe seine Geschichtsstunde. Er setzte sich mit dem Wochenspruch "Wir sind ein einig Volk, und ein Reich wollen wir bleiben" auseinander. Der Prüfer war mit dem Unterricht und seiner Vermittlung zufrieden: "Der Lehrer verstand es in eindringlicher Weise, die Gedanken der Verbundenheit mit den Auslandsdeutschen vor den Kindern entstehen zu lassen".
Ende September 1935 traf eine positive Nachricht des Kultusministeriums bei Otto Härdle ein. Man beabsichtigte ihn zu Ostern 1936 planmäßig anzustellen. Doch die NSDAP-Gauleitung Baden blockierte. Man verwies auf seine langjährige SPD-Zugehörigkeit und seine grundsätzlich feindliche Einstellung gegenüber der NSDAP.

Mit einem ausführlichen Erklärungsschreiben vom 16. Oktober 1936 musste Otto Härdle seine Treue zum NS-Staat glaubhaft nachweisen, um seine und die Existenz seiner Familie zu sichern: "Was meine Stellung zum heutigen Staat betrifft, erkläre ich, daß die Taten des Führers, insbesondere für die Bauern und Arbeiterschaft, mich davon überzeugten, daß der Weg, den ich vor der Machtübernahme ging, ein falscher war" - deutliche, notwendige Worte. Am 20. November 1937 ernannte man ihn zum Beamten auf Lebenszeit und Hauptlehrer an der Karlsruhe Volksschule, nachdem er sich ein Jahr unter besonderer Beobachtung bewähren musste.

Seit 1930 erforschte er im Generallandesarchiv Karlsruhe seine Familiengeschichte und die Geschichte seiner Geburtsstadt Heidelsheim. Die Ergebnisse seiner heimatkundlichen Forschungen stellte er einer breiteren Öffentlichkeit mit Vorträgen im Rahmen von NS-Organisationen vor und publizierte verschiedene Zeitungsartikel unter anderem auch in der NS-Zeitschrift "Der Führer". Damit konnte er sich nach außen als systemkonform präsentieren. Zugleich war er damit aber auch Teil der NS-Propaganda geworden. Ein Pakt mit dem Teufel!?

 

Der Heimatforscher

1937 zeichnete sich die Möglichkeit ab, seine Forschungen zu Heidelsheim in einem eigenen, die gesamte Geschichte des Ortes umfassenden Werkes zu publizieren. Härdles Text musste vor der Drucklegung seitens der NSDAP-Gauleitung noch geprüft und genehmigt werden. Diese hatte vor allem die Gewichtung sowie den Umfang des Kirchenkapitels moniert und verlangte dessen komplette Streichung. Otto Härdle überarbeitete daraufhin den Abschnitt und strich wohl auch einige Passagen. Doch auch die revidierte Fassung stieß erneut auf den Widerstand der Repräsentanten des NS-Staates. Nun war Otto Härdle aber zu keinerlei weiteren Kompromissen gegenüber der NS-Ideologie bereit. Die Heidelsheimer Ortsgeschichte erschien daher erst 1960.
Otto Härdle wurde im Januar 1941 als Volksschullehrer nach Straßburg ins Elsass versetzt. Im April 1941 wurde er Schulleiter an der Volksschule Gingsheim. Auch hier fiel er den NS-Machthabern wieder auf. Am 27. Mai 1941 erhob das Bezirksschulamt Straßburg-Land schwere Vorwürfe. "Er [habe] keine Flaggenhissung abgehalten und war noch recht anmaßend und vorlaut dazu". Zum Sommer 1941 konnte er die Rückversetzung nach Karlsruhe erreichen. Vom September 1943 bis Juli 1946 war er Soldat in Italien sowie in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.

 

Rektor der Tullaschule

Aus der Kriegsgefangenschaft kehrte er im Juli 1946 nach Karlsruhe zurück. Man setzte ihn als Schulleiter der Karlsruher Tullaschule ein, wo er bis zu seiner Pensionierung 1966 zahlreiche Karlsruherinnen und Karlsruher prägte.

Otto Härdle am 22. April 1956

Im Juli 1947 sollte Otto Härdle den Vorsitz einer Karlsruher Spruchkammer übernehmen. Doch er wollte dies auch aus grundsätzlichen Erwägungen nicht und begründete dies auch: "[Es] geraten noch nicht zugelassene Lehrer, die ich aus eigener Beobachtung als Gegner des Nazismus oder zumindest als keineswegs freiwillige Parteizugehörige der NSDAP kennen lernte, in schwerste wirtschaftliche und seelische Nöte. Wenn nicht schnellstens Abhilfe geschaffen wird, sind diese Menschen nicht nur für den Schuldienst, sondern vor allem auch für den demokratischen Staat als verloren zu betrachten. Ich erblicke in den Folgen dieser verkehrten Behandlung ehemaliger kleiner Pg´s die größte Gefahr für den Neuaufbau unseres demokratischen Staatswesens". Otto Härdle, der selbst zwölf Jahre im Visier der Nationalsozialisten stand, plädierte für einen Schlussstrich!

Gab es Optionen zum Verhalten Otto Härdles während der Zeit des Nationalsozialismus? Otto Härdle und seine Frau Berta waren bis in das erste Halbjahr 1933 SPD-Mitglieder. Von 1927 bis 1930 nahmen beide in mehreren Zeitungsartikeln und Leserbriefen in der sozialdemokratischen Zeitung "Der Volksfreund" publizistisch zu aktuellen Fragen im Sinne der Sozialdemokratie eindeutig Stellung. Dabei hatte Otto Härdle in zum Teil heftigem und ironischem Ton die Nationalsozialisten immer wieder angegriffen. Beide traten zudem mehrfach als Redner für die SPD in Erscheinung. Berta kandidierte 1932 als SPD-Stadträtin in Karlsruhe.
 

Berta und Otto Härdle im August 1970

Das Ehepaar stand somit von Anfang an im Fokus der neuen NS-Machthaber, so dass für den Volksschullehrer erhöhte Achtsamkeit dringend geboten war. Er musste in seinem täglichen Schulunterricht die Vorgaben der Nationalsozialisten berücksichtigen und eckte trotzdem wiederholt an. Als es um seine Existenz und die seiner Familie ging, blieb ihm jedoch nichts Anderes übrig, als seine SPD-Mitgliedschaft als Irrweg und sich als mit den Nationalsozialisten sympathisierend darzustellen.

Offen gab er in einer Nachbetrachtung 1978 zu, dass er sein schon vor 1933 vorhandenes Hobby der Heimatkunde und Familienforschung bewusst gegenüber den Nationalsozialisten als Zeichen seiner Kooperation mit dem Staat eingesetzt hatte. Dass er dabei seine Vorträge im Rahmen der NS-Organisation "Kraft durch Freude" anbot sowie verschiedene Artikel in dem NSDAP-Organ "Der Führer" publizierte, kann man vielleicht aus der Nachsicht auch als grenzwertig bezeichnen. Auffällig bleibt, dass sich in seinen Publikationen und auch in seinen offiziellen Briefen nur wenig nationalsozialistisches Propagandavokabular findet. Auch dies war ein Zeichen sowohl der inneren, als auch einer gewissen äußeren Distanz zum Regime.

Dr. Jürgen Treffeisen, Historiker

Vom Autor ist erschienen:

Jürgen Treffeisen: Otto Härdle (1900–1978). Heidelsheimer Heimatforscher, Bruchsaler Ehrenbürger, Karlsruher Schulrektor, verlag regionalkultur, 2022, 352 Seiten

-

Kopieren Kopieren Schreiben Schreiben