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Blick in die Geschichte Nr. 129

vom 18. Dezember 2020

Vom Budweiser-Bier zu Batzenäpfeln

Adalbert von Gontard und der Batzenhof

von Volker C. Ihle

Bereits 1556 wird in einer Urkunde das "Batzenhäuslein" erwähnt. Seine Lage verdankt es der einst bedeutenden Ochsenstraße, die am Ortsende von Durlach beginnt und über mehrere Jahrhunderte bei Langensteinbach auf die römische Verbindungsstraße Pforzheim - Ettlingen stieß. Heute besteht sie nur noch als Flickwerk von Zufahrtsstraßen, Feldwegen und einem unwegsamen Saum, oder ist der modernen Straßenplanung zum Opfer gefallen. Da das Gebäude an der Landesgrenze zur Markgrafschaft Baden-Baden (Stupferich) und zum Fürstentum Württemberg (Grünwettersbach) lag, diente der Schankwirt lange Zeit auch als Zollwächter. Nach Bezahlung der Wegsteuer konnten Reisende im Gasthaus für einen Batzen (= 4 Kreuzer) einen Schoppen Wein (= ¾ Liter) bestellen.

Das später errichtete Hofgut wechselte samt Batzenhäuslein mehrmals den Eigentümer. Erst als Karlsruhes Stadtgründer Markgraf Karl Wilhelm es 1725 seiner 15jährigen unehelichen Tochter Karoline Luise schenkte und sie im selben Jahr mit dem Freiherrn Wilhelm Friedrich Schilling von Canstatt vermählte, begann eine 250 Jahre andauernde grundherrliche Familiengeschichte. Letzter männlicher Namensträger der Familie Schilling war der Großherzogliche Kammerherr und Grundherr zu Hohenwettersbach Viktor Schilling von Canstatt (1863-1952). Nach seinem Tod erbte Tochter Ilona das Hofgut Hohenwettersbach, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Hubert Ritter und Edler von Maffei bewirtschaftete.

Den bis dahin verpachteten Batzenhof übernahm im Februar 1960 Ilonas Schwester Susanne (1903-1966) mit ihrem Mann Adalbert von Gontard (1900-1976). Ihre wichtigste Tat nach der Übernahme war zweifellos die Renovierung und Umgestaltung des Gutes, die auffälligste aber das Anlegen der Pappelallee, die bis heute ein weithin sichtbares Wahrzeichen von Hohenwettersbach darstellt. Mit dem Ehepaar zog auch mondäner Glanz und geselliges Leben ein, was nicht zuletzt auf die familiäre Herkunft des Adalbert von Gontard zurückzuführen ist.

Der Batzenhof auf Hohenwettersbacher Gemarkung 1989, unten links die Zufahrt vom Thomashof durch die Anfang der 1960er Jahre angelegte Pappelallee, Stadtarchiv Karlsruhe 7/PS Berger 472

Vater: Topmanager der Rüstungsindustrie, Mutter: Braugiganten-Tochter

Als Adalbert 10 Jahre alt war, bezog seine Familie eine Stadtvilla in Berlin, die heute unter dem Namen "Villa Gontard" Sitz der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin ist. Sein Vater Paul von Gontard (1868-1941) war von 1905 bis 1928 Generaldirektor der Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG mit Sitz in Berlin. Zu dem Unternehmen, das besonders vor und während des 1. Weltkriegs äußerst profitabel arbeitete, gehörten die Metallpatronen-Werke in Karlsruhe, weshalb der Name nach dem verlorenen Krieg in "Berlin-Karlsruher Industrie-Werke" geändert wurde. Paul von Gontard war zudem Mitglied des Preußischen Herrenhauses und Gutsherr auf Großwudicke im Havelland.

Vor diesem familiären Hintergrund wuchs Adalbert heran. Sein Studium an der TH Karlsruhe (1919-1923) schloss er als Diplom-Ingenieur ab. Im selben Jahr bekam er eine Stelle bei Anheuser-Busch in St. Louis/USA, dem Hersteller des berühmten Budweiser-Biers. Nach drei Jahren wurde er Chef-Ingenieur und 1933 zusätzlich Mitglied des Verwaltungsrats (Board of Directors). Zwei Jahre später erfolgte seine Ernennung zum Vice-President und damit zu einem Stellvertreter des Generaldirektors (President).

Allein mit seinem Wissen und Können hätte der 35jährige den rasanten Aufstieg bei Amerikas Braugiganten kaum geschafft - auch nicht mit der akademischen Würde eines "Dr.-Ing", die ihm von der TH Karlsruhe für eine brautechnischen Forschungsarbeit verliehen wurde. Adalbert von Gontard hatte zusätzlich das Glück, dass seine Mutter Clara (1876-1959) eine Tochter des Gründers der Brau-Dynastie und dadurch Mitinhaberin des Konzerns war.

Über 30 Jahre arbeitete von Gontard sehr erfolgreich, bis August Anheuser Busch jr., genannt "Gussie", 1946 die Unternehmensleitung übernahm. Zunächst schienen die beiden Vettern nicht nur Bluts-, sondern auch Seelenverwandte zu sein. Sie ritten nach der Arbeit zusammen aus und feierten gemeinsam Parties. Doch irgendwann schlug Gussies Misstrauen gegenüber allen verwandten Mitarbeitern in eine Angst vor einer möglichen Konkurrenz aus der Familie um. Mehrere leitende (und leidende) Familienmitglieder verließen das Unternehmen.

Bei von Gontard, dem seit 1947 der Vertrieb und das Marketing des gesamten Konzerns unterstand, geschah das 1955. Ihn hatte Gussie besonders aufs Korn genommen, vermutlich wegen seines höheren Aktienanteils an der Brauerei. In dem investigativen Buch "Under the Influence" wird ein Familientreffen erwähnt, bei dem von Gontard das Thema Führung in der Familie ansprechen wollte. Gussie nahm draufhin eine zur Dekoration aufgehängte Axt von der Wand und schwang sie drohend, bis alle den Saal verließen.

Vermutlich war das nur eine unbedeutende Facette in der Geschichte des kinderrreichen Busch-Clans, bei dem Luxus, Macht und Leid oft nahe beieinander lagen. Beziehungen zu den US-Präsidenten und anderen Mächtigen, Hochzeiten, Scheidungen, Totschlag, der Selbstmord von Gussies Vater auf dem Familienanwesen "Grant's Farm" (wo auch von Gontard mit seiner Familie wohnte), die Entmachtung Gussies 1971 durch seinen Sohn, aber auch die Verdächtigungen während des Weltkriegs wegen der deutschen Herkunft und Kontakte, hätten genügend Stoff für eine TV-Serie geboten. Von Gontards Name wurde jedenfalls nach seinem faktischen Ausscheiden - im Verwaltungsrat blieb er stellvertretender Vorsitzender - in Gussies Anwesenheit nicht mehr erwähnt. Damit erging es ihm wie zahlreichen anderen leitenden Mitarbeitern zuvor und danach. Umso so wichtiger wurde der Batzenhof als ein Refugium, wo sich Adalbert von Gontard sein eigenes kleines Reich schaffen und ungestört die Sommermonate verbringen konnte.

Gastgeber Adalbert von Gontard (2. v. l.) auf dem Batzenhof mit Oberbürgermeister Günther Klotz (2. v. r.) 1960, Stadtarchiv Karlsruhe 8/BA Schlesiger A7/83/2/6

Der badisch-amerikanische Gutsherr

Wenn der glänzende 'Mercedes 600' langsam von der Pappellalle in die Einfahrt des Batzenhofs einbog, stand das Begrüßungskomitee schon bereit. Die Angestellten und das vorab aus den USA eingeflogene Hauspersonal schwenkten fröhlich die badischen und amerikanischen Fähnchen, um den "heimkehrenden" Gutsherrn angemessen zu empfangen. Vor dem Herrenhaus endete die Fahrt. Dann brachte der Fahrer die Nobelkarosse zurück in ihre Garage, wo noch ein zitronengelber VW-Käfer für den gewöhnlichen Hausgebrauch bereitstand.

Der Aufenthalt begann regelmäßig am 1. Sonntag im Juni und endete am 1. oder 2. Sonntag im September. Vereinsfeiern, musikalische Veranstaltungen und das Treffen mit badischen Persönlichkeiten gehörten genauso zum Sommerprogramm wie der regelmäßige Besuch der Baden-Badener Rennwoche. Die Gontard-Wiese neben der Iffezheimer Rennbahn zeugt noch heute von den engen Beziehungen der Familie zum Rennsport. Einen traurigen Einschnitt in das gesellige Leben bildete der Tod der Susanne von Gontard, die Ende 1966 nach 42 gemeinsamen Ehejahren im Alter von 63 Jahren in den USA verstarb und in Hohenwettersbach beigesetzt wurde.

Alles Glamouröse darf nicht über die Gewissenhaftigkeit und menschliche Wärme hinwegtäuschen, mit der sich das Ehepaar von Gontard ihrem Hofgut und den Mitarbeitern widmete. Unmittelbar nach der Übernahme führten sie umfangreiche Renovierungen durch. Eine moderne Hühnerfarm, Tafeläpfel und Schweinezucht sollten zukünftig den landwirtschaftlichen Schwerpunkt bilden. 1964 erklärte Adalbert von Gontard in einer Hohenwettersbacher Festschrift, dass sich der Hof nach seinen Richtlinien einen neuen Namen gemacht habe, und prophezeite, dass dem 'Batzen-Ei' in den nächsten Jahren der 'Batzenapfel' folgen würde. Tatsächlich wuchs die Apfelplantage zur zweitgrößten privaten im gesamten Landkreis Karlsruhe heran und konkurrierte damit mit der Hühnerfarm, die ebenfalls zu den größten des Kreises gehörte. Dass von Gontard auch bei der Wahl der Mitarbeiter ein ausgezeichnetes Gespür hatte, bewies er durch Werner Keller, der mit Unterstützung seiner Frau Erika den Hofprodukten zu einer großen Beliebtheit in Karlsruhe und der Region verhalf und der das Hofgut bis zum letzten Tag der von Gontard'schen Ära mit viel Enthusiasmus verwaltete.

Adalbert von Gontard verstarb am 30. April 1976 im Alter von 75 Jahren in St. Louis. Eine Woche später fuhr ein Konvoi von mehr als 60 Autos langsam vom Batzenhof zum Hohenwettersbacher Friedhof, wo unter großer Anteilnahme der Angehörigen, zahlreicher Einwohner und prominenter Trauergäste die Bestattung in der Grablege der Familie Schilling von Canstatt stattfand.

Blick in die Gegenwart

Nach dem Tod von Gontards ging der Hof in "bürgerlichen" Privatbesitz über. Wo früher Hühner ihre Eier legten und Schweine gezüchtet wurden, stehen heute edle Zuchtstuten und Pensionspferde. Die weitläufigen Getreidefelder, die das Gebäudeareal umgaben, wurden Teil einer 2019 eröffneten Golfanlage. Dagegen erinnern einige Obstbäume weiterhin an die einst großflächige Apfelplantage. Sogar die Pappelallee existiert noch; zumindest die nördliche Hälfte. Die andere wurde trotz heftiger Proteste aus der Bevölkerung von der Stadt Karlsruhe nach und nach durch Winterlinden ersetzt.

Professor Volker C. Ihle, Leiter Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, Wissenschaftliche Leitung International Office an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe

 

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