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BNN vom 20. Juni 2020

Pressebericht über das Stadtarchiv

Das Gedächtnis der Stadt

Historiker Ernst Otto Bräunche leitete 35 Jahre lang das Stadtarchiv Karlsruhe

Ernst Otto Bräunche leitet noch bis zum 30. Juni das Stadtarchiv Karlsruhe

An Spekulationen über die langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Stadt Karlsruhe will sich Ernst Otto Bräunche nicht beteiligen. „Ob diese Pandemie die Stadt nachhaltig verändern wird, kann heute noch niemand sagen. Selbst die endgültigen Auswirkungen auf den Haushalt sind noch Kaffeesatzleserei“, sagt der langjährige Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe. Um die Erinnerungen an das Corona-Frühjahr auch für künftige Generationen zu bewahren, werden im Stadtarchiv jedoch bereits Fotos von geschlossenen Ladengeschäften und Schildern mit den Hygienevorschriften gesammelt. Wie sich die Krise weiterentwickelt, wird Bräunche allerdings lediglich als Privatmann verfolgen. Am 30. Juni geht der studierte Historiker auf dem Tag genau 35 Jahre nach seinem Amtsantritt als Leiter des Stadtarchivs in den Ruhestand.

An seine Anfänge als Stadtarchivar kann sich der gebürtige Westfale noch gut erinnern. „Damals war das Stadtarchiv noch im Technischen Rathaus untergebracht und hatte außer mir lediglich zwei weitere Mitarbeiter“, erinnert sich der Historiker. Ein Grund für seine Einstellung war der Beschluss des Gemeinderats zur personellen und inhaltlichen Aufwertung der Einrichtung. Jahrelang hatten Stadtparlament und Verwaltung etwas neidisch auf das Vorzeige-Archiv nach Mannheim geschaut. Mit Bräunche wurde in Karlsruhe erstmals ein Archivar des höheren Dienstes mit einer archivwissenschaftlichen Ausbildung eingestellt.

Und der frisch gebackene Archivleiter setzte schnell Akzente. Bereits wenige Monate nach seinem Dienstantritt entdeckte Bräunche bei der Sichtung einiger Grundbücher die verschollen geglaubten Ratsprotokolle aus dem 18. Jahrhundert. „Das ist bis heute meine wichtigste Entdeckung“, sagt der 65-jährige Geschichtswissenschaftler rückblickend. Ein echter Meilenstein für die Professionalisierung der Archivarbeit war dann 1990 der Umzug des Stadtarchivs in die ehemalige Pfandleihe. In den vergangenen 30 Jahren wurde das Archiv kontinuierlich ausgebaut. Heute sind in dem historischen Gebäude an der Markgrafenstraße insgesamt 15 Leute beschäftigt und mehr als 6,5 Kilometer Archivegale untergebracht. Trotz der Aktenberge werden die meisten aktuellen und historischen Dokumente nach einer Sichtung durch die Archivare jedoch weggeworfen. „Die wirklich wichtigen Sachen aufzubewahren, ist die wahre Kunst der Archivarbeit“, sagt Bräunche mit einem Schmunzeln.

"Über das 4:1 des KSC gegen Bayern München habe ich mich sehr gefreut." - Ernst Otto Bräunche, Hobbykicker und Fußballfan

Privat ist er ebenfalls nicht sammelwütig. Von seinen Seminarunterlagen aus der Studienzeit in Freiburg hat er sich ebenso getrennt wie von alten Schulheften. Und seine Freizeit verbrachte der hemdsärmelige Archivar lieber auf dem Fußballplatz als hinter Geschichtsbüchern. Um einen Ausgleich zum täglichen Aktenstudium zu erhalten, ist Bräunche getreu dem Motto „Mens sana in corpore sano“ in der Stadt fast ausschließlich mit seinem Fahrrad unterwegs. Deshalb transportiert er seine Arbeitsunterlagen auch nicht in einem schicken Aktenkoffer, sondern in einer wasserdichten Fahrradtasche.

Als Bräunche nach Karlsruhe kam, wusste er von der Geschichte der Stadt noch recht wenig. „Eigentlich war mir nur der KSC ein Begriff. Über das 4:1 gegen Bayern München habe ich mich während meiner Studienzeit sehr gefreut“, sagt der bekennende Fan des SC Freiburg. Heute ist der Stadtarchivar selbst ein wandelndes Lexikon und Kraft seines Amtes Herausgeber und Autor zahlreicher Publikationen zur Stadtgeschichte. Das intern als „Blaues Wunder“ betitelte, 800 Seiten starke Stadtlexikon gehört seiner Einschätzung nach ebenso zu den publizistischen Leuchtturmprojekten des Stadtarchivs wie das Gedenkbuch für die Karlsruher Juden.

"Mit einer zweiten Gartenschau hätte Karlsruhe Geschichte schreiben können." - Ernst Otto Bräunche, Leiter Stadtarchiv Karlsruhe

Wer Bräunche nach den Besonderheiten der ehemaligen badischen Hauptstadt fragt, bekommt gleich mehrere Antworten. Zum einen gebe es wohl keine andere Großstadt mit so vielen Grünanlagen und Waldflächen. Zum anderen sei die Fächerstadt als Standort der verfassungsgebenden Versammlung im Ständehaus und von Bundesverfassungsgericht eine Wiege der deutschen Demokratie. Das Ständehaus nicht zu retten, bezeichnet Bräunche noch heute als Fehler. „Aber damals gab es einen anderen Zeitgeist“, sagt er. Seinen Recherchen nach habe der Abriss des Gebäudes im Jahr 1962 noch nicht einmal zu größeren Protesten geführt. Als „schweren Fehler“ während seiner Amtszeit bezeichnet Bräunche rückblickend den Verzicht auf eine zweite Bundesgartenschau. „Damit hätte Karlsruhe sicherlich noch einmal Geschichte schreiben können“, so Bräunche. Außerdem wäre die Schau die wohl einmalige Chance zum stärkeren Ausbau des Rheinparks und der Anbindung des Flusses an die Stadt gewesen. „Vieles ist doch Stückwerk geblieben. Das ist fast ein bisschen schade“, sagt Bräunche.

Etwas knappere Antworten gibt er auf die Frage, ob Karlsruhe mit seinen namhaften Erfindern und dem weit über die Stadtgrenzen bekannten öffentlichen Schienennahverkehr nicht auch eine Wiege der Mobilität sei. „Sicherlich hat Dieter Ludwig mit dem Ausbau des Karlsruher Schienennetzes die Stadt sehr bekannt gemacht“, sagt Bräunche. Wenn es um Autoerfinder Carl Benz und Laufmaschinen-Konstrukteur Karl Drais geht, sollte sich Karlsruhe aber lieber nicht mit fremden Federn schmücken. Beide Mobilitätspioniere haben zwar in der Fächerstadt das Licht der Welt erblickt. Aber Benz baute seinen ersten motorbetriebenen Wagen in Mannheim und Drais führte die Jungfernfahrt mit seiner Laufmaschine von der Quadratstadt nach Schwetzingen.

Bräunches persönliche Bilanz fällt übrigens positiv aus. Welche Impulse er zur Entwicklung des Stadtarchivs gegeben habe, werde man ohnehin erst in der Zukunft sehen. Dass Ernst Otto Bräunche dreieinhalb Jahrzehnten denselben Job hatte, ist für ihn ebenfalls kein Makel. „Wir haben das Stadtarchiv immer weiterentwickelt und deshalb ist mir nie langweilig geworden“, sagt er.

Seine erste Zeit als Pensionär möchte Bräunche ruhig angehen. Wegen der Corona-Krise musste er auch in den letzten drei Monaten seiner Amtszeit nur wenige Termine wahrnehmen. Ganz loslassen werde ihn die Stadtgeschichte aber sicherlich nicht. „Konkrete Projekte habe ich mir aber keine vorgenommen“, sagt Bräunche. „Im Privatleben bin ich nämlich weitaus weniger gut strukturiert als bei meiner Arbeit als Archivar.“

Badische Neueste Nachrichten | Karlsruhe | KARLSRUHE | 20. Juni 2020

 

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