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Die Bücherverbrennung am 17. Juni 1933 auf dem Karlsruher Schlossplatz

Vortrag von Dr. Ernst Otto Bräunche am 17. Juni 2008 im Lesecafé der Stadtbibliothek Karlsruhe im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung "Die Schaufahrt vom 16. Mai 1933".

Seit 1928 enthielt das jährlich erscheinende "Adreßbuch" für die Landeshauptstadt Karlsruhe eine "Chronologische Jahresübersicht wichtiger Ereignisse in Karlsruhe".1 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 nutzten diese den Jahresrückblick vor allem auch zur Selbstdarstellung und Auflistung ihrer überaus zahlreichen Aktivitäten, wobei sie auch in den Vorjahren schon durchgeführte Veranstaltungen fortsetzten und sie im Sinne ihrer Ideologie umfunktionierten. Ein Blick in das "Adreßbuch" von 1933 bestätigt dies und zeigt schon die ganze Bandbreite der nationalsozialistischen Propaganda. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar feierte die NSDAP mit einem Fackelzug durch die Innenstadt. Am 14. März fand dann "anläßlich der nationalen Erhebung […] eine gewaltige Kundgebung der Bevölkerung der Landeshauptstadt" auf dem Schlossplatz statt mit einer Rede des Reichskommissars und Gauleiters Robert Wagner.2 Am 1. April folgte auch in Karlsruhe der Boykott jüdischer Geschäfte, dem bereits wenige Tage nach der Reichstagswahl am 13. März 1933 erste antisemitische Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte vorausgegangen waren.3 Wenige Tage später, am 30. März, beschloss der neu formierte Stadtrat, keine städtischen Aufträge mehr an jüdische Geschäfte zu vergeben.4

Der Geburtstag Adolf Hitlers am 20. April wurde bereits am Vortag mit einem Fackelzug und einem Festakt im Hochschulstadion begangen. Der 1. Mai, bis dahin "lediglich ein erzwungener Festtag des Klassenkampfes, an dem die Internationale Protestkundgebungen veranstaltete", wurde nun "zu einem Fest der nationalen Entschlossenheit und Feiertag der deutschen Arbeit."5 Am 6. und 7. Mai traf sich die Hitlerjugend im Hochschulstadion, wo Reichsjugendführer Baldur von Schirach eine Rede hielt. Im Juni folgten am 22. der Jungarbeiterappell der Jugendbetriebszellen, am 24. eine "Massenkundgebung der Arbeiter und Angestellten gegen die Internationale auf dem Schloßplatz" und das Fest der Jugend "aus Anlaß der Sommersonnenwende auf dem Engländerplatz". Die Jugend stand erneut am 16. Juli beim badischen Jugendtag mit Kundgebung auf dem Schlossplatz im Mittelpunkt. Vorausgegangen war eine Kreiskundgebung für den Arbeitsdienst auf dem Festhalleplatz am 1. Juli. Sportlich wurde es am 23. Juli mit dem 1. Nationalsozialistischen Reiterfest, am 29. und 30. Juni mit dem Karlsruher Wehrsportfest, am 10. September, als der 1. NS-Großflugtag auf dem Programm stand, und am 17. September, als mit einem Nationalsozialistischen Turn- und Sporttag der Robert-Roth-Platz eingeweiht wurde.

Kundgebungen wurden in Form der 1. Nationalsozialistischen Grenzlandkundgebung (9. bis 27. 9.), der Kundgebung der Hitlerjugend "für Frieden und Ehre der Deutschen Nation" (26. 10.), einer weiteren zum Fest der deutschen Schulen (8. 10.), einer Kundgebung der Lehrerschaft "für Frieden und Gleichberechtigung" (30. 10.), des Propagandaministers Joseph Goebbels (2. 11.), der Technischen Hochschule mit der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation anlässlich der Eröffnungsfeier des Studienjahres 1933/34 (5. 11.) und der städtischen Beamten, Angestellten und Arbeiter "für Frieden und Gleichberechtigung" (8. 11.) abgehalten.

Es sind also gleich im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft typische Veranstaltungen aufgeführt, die künftig den Jahreslauf prägen sollten. Kaum eine der größeren und z. T. spektakulären Parteiveranstaltungen wurde in diesen Jahresrückblicken ausgelassen. Erstaunlicherweise fehlt 1933 aber eine Aktion, die am 10. Mai in Berlin und in anderen Hochschulstädten im Deutschen Reich durchgeführt wurde, die öffentliche Verbrennung von so genannter Schmutz- und Schundliteratur. Dass eine solche spektakuläre reichsweite Aktion, die "den Geist einer neuen Zeit verkündete" und mit der die NSDAP ihren Anspruch auf die "kulturelle Hegemonie"6 demonstrierte, ausgerechnet in der badischen Gauhauptstadt des "alten Kämpfers" und Gauleiters Robert Wagner nicht durchgeführt worden sein sollte, ist auf den ersten Blick schwer vorstellbar. Robert Wagner gehörte zu den Teilnehmern am Hitlerputsch im Jahr 1923 und leitete den Gau Baden seit 1925. Der überzeugte und fanatische Nationalsozialist hatte den Gau Baden schon in der Endphase der Weimarer Republik zu einem der am besten organisierten NSDAP-Gaue gemacht.7 In Karlsruhe hatte es schon vor 1923 eine erste Ortsgruppe der rechtsextremen und antisemitischen Partei gegeben. Nach der Wiedergründung begann der eigentliche Aufstieg erst seit 1928, der die NSDAP schon 1930 zur stärksten Fraktion im Karlsruher Gemeinderat hatte werden lassen. Die von der ersten Präsidialregierung Heinrich Brünings veranlasste Neuwahl des Reichstags am 14. September 1930 führte auch in Karlsruhe zu einem katastrophalen Anstieg der NSDAP-Stimmen. In Karlsruhe wählten 26 % nationalsozialistisch (Baden: 19,2%), Karlsruhe war damit die erste deutsche Großstadt, in der die NSDAP die stärkste Partei wurde. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, der von den Nationalsozialisten selbst so genannten Machtergreifung, am 30. Januar 1933 und der letzten nur noch mit Einschränkung demokratischen Reichstagswahl wurden die politischen Gegner rasch ausgeschaltet und Verwaltungen, Vereine und Institutionen gleichgeschaltet.8

Bereits am 9. März wurde Robert Wagner aufgrund der "Reichstagsbrandverordnung" als Reichskommissar mit der Wahrnehmung der Geschäfte der Badischen Regierung beauftragt. Die badische Regierung trat am 11. März auf massiven Druck schließlich zurück. Ein dramatischer Zwischenfall in Freiburg beschleunigte die Ausschaltung der politischen Gegner auch in Karlsruhe. Am 17. März 1933 erschoss der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Daniel Nußbaum, der seit mehreren Monaten in psychiatrischer Behandlung war, in Freiburg zwei Polizeibeamte, als diese eine Hausdurchsuchung bei ihm vornehmen wollten. Trotz der offenkundigen Unzurechnungsfähigkeit Nußbaums nutzte Reichskommissar Wagner das als "ruchlose Mordtat" dargestellte Unglück, um alle noch nicht verhafteten kommunistischen und sozialdemokratischen Reichs- und Landtagsabgeordneten- in Karlsruhe ca. 100 Personen - in "Schutzhaft" zu nehmen, sämtliche Druckschriften und alle Wehr- und Jugendverbände dieser Parteien zu verbieten und deren Räumlichkeiten zu schließen. In einer NS-Broschüre heißt es dazu beschönigend:

"Im Verlauf der Woche hatte der Reichskommissar für Baden, Robert Wagner, zusammen mit seinen Mitarbeitern sehr durchgreifende Personalveränderungen innerhalb von Regierung und Partei vorgenommen. Eine ganze Reihe von Personen, die sich in besonderem Maße den Unwillen der Bevölkerung zugezogen hatten, mußte in Schutzhaft genommen werden. Ferner wurden viele Vertreter des alten Systems im Interesse einer geordneten und einheitlichen Staatsführung von ihren Ämtern entfernt und durch geeignete Männer ersetzt."9

Zu den "Schutzhäftlingen" gehörten in erster Linie Vertreter der linken Parteien und Organisationen, aber auch des Zentrums. Letztere wurden in ihren Häusern in Schutzhaft genommen, d. h. sie bekamen Ausgehverbot, während viele Sozialdemokraten und Kommunisten ins Gefängnis bzw. in das KZ Kislau bei Bruchsal kamen. Die führenden badischen und Karlsruher Sozialdemokraten, darunter der Reichstagsabgeordnete Ludwig Marum, der im März 1934 in Kislau von SA-Leuten ermordet wurde, wurden am 17. Mai in einem offenen Wagen von SA- und SS-Männern durch Karlsruhe gefahren und mussten die Beschimpfungen der zahlreichen Schaulustigen wehrlos über sich ergehen lassen.10 Im Karlsruher Tagblatt, das nur knapp über das abstoßende Schauspiel berichtete, war zu lesen, dass verschiedene Personen, "die gegen diese Art der Überführung protestierten", verhaftet wurden. Angesichts der zahlreichen zum Teil untätigen, zum Teil aber auch begeisterten Schaulustigen schloss die Zeitung: "Man ersieht aus diesem Beispiel mal wieder, wie wandelbar die Gunst der Masse ist."11

Aufgrund des am 31. März erlassenen Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich bildeten die neuen Machthaber Landtag, Bürgerausschuss und Stadtrat nach dem Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März um. Der 1. Mai wurde nun als "Fest der nationalen Geschlossenheit" zu einem "Feiertag der deutschen Arbeit" hochstilisiert. Auf dem Schlossplatz versammelten sich 80.000 "Volksgenossen", als Reichskommissar Wagner die Abordnungen aller Berufsstände aus dem ganzen Lande empfing.12 Die Gewerkschaften, deren Haus bereits am 6. März durchsucht und erst am folgenden Tag wieder geräumt worden war, wurden am folgenden Tag zerschlagen, zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet.

Nur wenige Tage später fand in Berlin und anderen Städten die öffentliche Verbrennung der Bücher "nichtarischer" und "marxistischer" Autoren statt, ohne dass vergleichbare Aktivitäten an der Technischen Hochschule Fridericiana festzustellen sind. Offensichtlich hatte man sich nicht an den in vielen Hochschulstädten von der nationalsozialistischen Deutschen Studentenschaft durchgeführten Bücherverbrennungen beteiligt und beabsichtigte dies auch nicht. Ob das daran lag, dass Karlsruhe eine Technische Hochschule ohne große geisteswissenschaftliche Fakultäten war, kann nur vermutet werden. Das NS-Gaublatt Der Führer veröffentlichte am 12. Mai zwar ein Bild aus Berlin und berichtete in einem Artikel über die dortige Aktion, ging aber nicht auf die Gründe ein, warum man sich in Karlsruhe daran nicht angeschlossen hatte.

Stattdessen wandte sich der Gebietsführer der badischen Hitlerjugend (HJ) Friedhelm Kemper an die Jugendlichen:

"Im Monat Juni steigen zwei kulturelle Kampfwochen. Sie sollen den Nachweis erbringen, daß die Hitlerjugend im Kampf um die deutsche Kultur an der Spitze marschiert. Ich ordne daher an: Die gesamte Hitlerjugend macht sich für die Durchführung dieser kulturellen Kampfwochen bereit. Die erste Woche soll aufräumen mit der Schmutz- und Schundliteratur, die unser Volk vergiftet. Im ganzen Lande sammeln die Führer der Hitlerjugend eine Woche lang sämtliche Schmutz- und Schundliteratur, die wir ihnen durch ein besonderes Verzeichnis bekanntgeben werden. Die gesamte Bevölkerung, alle Bibliotheken werden aufgefordert werden, die jüdischen Schmutz- und Schundschriften abzuliefern. Am Ende dieser ersten Woche wird die Hitlerjugend in jeder badischen Stadt einen großen Demonstrationszug veranstalten, um bei einer Kampfrede gegen die Schmutz- und Schundliteratur den gesammelten Bücherdreck feierlich zu verbrennen. Wir wollen den Geist der Remarque, Emil Ludwig-Kohn usw. auf dem Scheiterhaufen der jungen deutschen Revolution verbrennen."13

Auf der Kaiserstraße sammeln Hitler­jun­gen im Juni 1933 Bücher für die Verbren­nung ein

Tatsächlich führte die Hitlerjugend diese Aktion in der Woche vom 11. bis 17. Juni in Baden durch.14 In Karlsruhe berichtete auch das noch nicht gleichgeschaltete Organ der katholischen Zentrumspartei Badischer Beobachter und kommentierte das Geschehen unter der Überschrift: "Erfreulicher Kulturkampf". Man sah sich durchaus in Übereinklang mit den Zielen der Bücherverbrennung, "wenn wir richtig verstehen, dass es gegen Schmutz und Schund, gegen Verführung der Jugend und alle Schlupfwinkel und Herde der Fäulnis der Entartung des sittlichen Lebens im deutschen Volke gehen soll. Kulturkampf wird da zum Kampf für die Kultur. Das Feuer der Scheiterhaufen ist das Symbol für den Ingrimm verschütteter und verunstalteter Menschenherzen, der Aufschrei einer in ihrer Menschenwürde bedrohten Jugend zum Licht der Reinheit."15 Die Äußerungen des Badischen Beobachters zur Bücherverbrennung können interpretiert werden als misslungener Versuch, sich den neuen Machthabern anzubiedern, sind aber auch durchaus typisch für die schwierige Situation der Zentrumspresse, die bis zum März 1933 die NSDAP bekämpft hatte. Nach der Kundgebung der katholischen Bischöfe vom 28. März 1933, mit der diese ihre Haltung zu Hitler revidiert hatten, liegen solche Verlautbarungen auf der Linie der katholischen Kirche.16

Um welche vermeintliche Verbündete man warb, erfuhr man aber schon bald, denn nur wenige Tage später folgte "Ein ernstes Wort zur Bücherverbrennung", mit dem sich der Badische Beobachter aber nun keineswegs generell gegen die Bekämpfung von "Schmutz und Schund" wandte, sondern noch einmal betonte, dass die Stellung des katholischen Volksteils zur Bücherverbrennung positiv sei, zumal, "unser Kampf […] älter [ist], so alt wie die Kirche selbst. Die Mittel waren auf katholischer Seite nicht nur der Scheiterhaufen, sondern die Arbeit für das gute Buch und seine weiteste Verbreitung."17 Umso entsetzter war man, dass "einige Mädchen, die das Hitlerkleid trugen, die Keckheit [besaßen], ausgerechnet im Alten Vincentiushaus, das die Bibliothek des Borromäusvereins beherbergt, nach Schmutzschriften zu fragen! Aus dieser Entgleisung sehen wir, dass die nötigen Richtlinien fehlten und daß jedenfalls die Betreffenden keinen Begriff davon hatten, wie unpassend und verletzend ihr Vorgehen war. Unerhört finden wir es, dass am gleichen Platz und sonst ebenfalls von untergeordneter Seite der B[adische] B[eobachter] abverlangt wurde. Als katholische Tageszeitung, die seit ihrem Bestehen unter Hintansetzung materieller Vorteile in vorderster Linie des Kampfes gegen Schmutz und Schund steht, legen wir feierlich Verwahrung gegen die Maßregeln ein, die dem vom Reichskanzler und den hiesigen maßgebenden Stellen aufgenommenen Volksgemeinschaftsgedankens entgegengesetzt sind."18 Der Badische Beobachter wurde zu diesem Zeitpunkt noch von Dr. Joseph Theodor Meyer geleitet, der seit 1901 als Schriftleiter für das Zentrumsblatt tätig war. Meyer musste seine Tätigkeit auf nationalsozialistischen Druck zum 30. September 1933 beenden, was aber nicht verhinderte, dass der Badische Beobachter Ende 1935 sein Erscheinen endgültig einstellen musste.19 Auch Der Führer berichtete über die Aktion. Drei Tage vor der Bücherverbrennung hatten demzufolge vier Kolonnen des Jungvolks mit ihrem Zug durch die Kaiserstraße begonnen und die dortigen Buchhandlungen "überfallen":

"Vom Mühlburgertor und vom Durlachertor zogen je zwei Kolonnen des Jungvolks mit ihren Führern durch die Kaiserstraße, deren Buchhandlungen als erste gesäubert wurden, zum Marktplatz. Vor jedem Buchladen, vor jeder Bibliothek ließen die Führer ihre Jungens halten, kräftige junge Kehlen schmetterten den Schaulustigen, die sich rasch gesammelt hatten, den Kampfruf der Säuberungsaktion in die Ohren: Heraus mit Schmutz und Schund! Lest deutsche Dichter! Dann betrat eine Abordnung von sechs Jungens unter ihrem Führer den Laden und verlangte die Herausgabe sämtlicher unter das Schmutz- und Schundgesetz fallender Bücher. Ein Kommando von 12 Jungens hielt unterdessen den Eingang frei und sicherte gegen die rasch zusammengelaufene, neugierig vordrängende Menge. In den mitgeführten Leiterwagen wurden die gesammelten Bücher dann ins Bezirksamt geführt, wo im Laufe des Nachmittags fünf bis an den Rand gefüllte Wagen entleert wurden."20

Am 17. Juni wurden die Bücher trotz strömenden Regens auf dem Schlossplatz verbrannt, wobei der neue Kultusminister Otto Wacker21 die "Feuerrede" hielt:

"Die deutsche Jugend demonstriert gegen Schmutz und Schund. Wenn sie heute vor dem flammenden Holzstoß steht, so scheidet sie zwischen dem, was arteigen ist und dem was artfremd ist. Der Demonstration und den Reden folgt nun die Tat durch die tatsächliche Verbrennung der undeutschen Schriften. Gleich der Flamme bricht der deutsche Geist sich Bahn. […] Das Feuer soll ein Symbol sein, das die junge Generation, die dermaleinst die Geschicke des deutschen Volkes in die Hand nehmen wird, das Erbe des deutschen Volkstums genau so achten und pflegen wird, wie es die echten Großen unseres Volkes taten."22

Wohl nur die wenigsten der am 17. Juni 1933 auf dem Karlsruher Schlossplatz angetretenen Jugendlichen dürften den gut sechs Jahre später von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg überlebt haben, ohne dass nicht mindestens ein Mitglied ihrer Familie als Soldat gefallen oder an der so genannten Heimatfront durch Luftangriffe getötet worden war. Die meisten Jungens dürften sogar selbst noch als Soldaten in den Krieg gezogen sein. Dass viele von ihnen gefallen sind, ist wahrscheinlich - der von Deutschland provozierte und ausgelöste Krieg kostete insgesamt mehr als 12.000 Menschen aus Karlsruhe das Leben, darunter mehr als 1.000 Bürger jüdischer Herkunft. Auch hier ließen die Nazis "der Demonstration und den Reden" die Tat folgen. Nur wenige waren 1933 bereit oder in der Lage, diese Konsequenzen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu sehen. Von Protesten während der Sammlungsaktion oder der Bücherverbrennung ist abgesehen von dem Einwand des Badischen Beobachters in eigener Sache nichts bekannt geworden. Der Führer konnte also unwidersprochen über den angeblichen Erfolg der Aktion berichten:

"Ein Sprechchor begleitete den feierlichen Akt. Emil Ludwig Cohn, Remarque, Mardochai werden eine Beute der Flammen. Gebietsführer Kemper richtet zündende Worte an seine Jugend und die inzwischen immer zahlreicher gewordene Menge der zuschauenden Volkgenossen. Mächtig braust das Horst-Wessel-Lied zum Abschluß zum nächtlichen Himmel."23

Zwischen den Zeilen konnte man aber durchaus lesen, dass die Veranstaltung nur mit großen Schwierigkeiten zustande gekommen war, denn sogar Der Führer berichtet von "bindfadenartigem Landregen", der nicht aufhören wollte. In typischem NS-Jargon wurde daraus aber positiv ein Beleg dafür, dass sich die Hitlerjugend durch solche Widrigkeiten nicht aufhalten ließ: "Während die Eltern das Für und Wider erwogen, schmierten die Jungens ihre Marschstiefel und pünktlich traten sie an ihren Sammelplätzen an. Keiner scherte sich um das Wetter. […] Der Teufel könnte diese Jugend nicht daran hindern, zu marschieren."24 Verschwiegen wurde, dass die Veranstaltung wegen des schlechten Wetters früher begann als vorgesehen und die Flammen immer wieder durch "andauerndes Nachgießen von Petroleum" geschürt werden mussten.25 Diese widrigen Umstände, die auch den relativ geringen Umfang des Berichts im Führer auf Seite 3 der Sonntagsausgabe erklären, und vor allem die Nichtberücksichtigung im Jahresrückblick des Karlsruher Adreßbuchs lassen darauf schließen, dass die Nationalsozialisten die Aktion nicht als eine der herausragenden Propagandaerfolge des Jahres 1933 ansahen. Unabhängig davon hatten sie aber auch in Karlsruhe ein deutliches Zeichen gesetzt, welche Rolle die Jugend im Dritten Reich spielen und mit welchen Mitteln sie für die Ziele der neuen Machthaber instrumentalisiert werden sollte. Ebenso deutlich wurde signalisiert, wie man mit Kulturschaffenden und deren Produktionen umzugehen gedachte, die den Kriterien der NS-Ideologie nicht entsprachen.

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Anmerkungen

1 Vgl. Adreßbuch der Landeshauptstadt Karlsruhe, Jg. 56, Karlsruhe 1928, S. I. 81-I. 82.

2 Zu Wagner vgl.: Syré, Ludger: Der Führer am Oberrhein. Robert Wagner, Gauleiter, Reichsstatthalter in Baden und Chef der Zivilverwaltung, in: Kißener, Michael / Scholtyseck, Joachim (Hg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden-Württemberg, Konstanz 1997, S. 733-779 (= Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus Bd. 2).

3 Zur Verfolgung der Karlsruher Juden im Dritten Reich vgl. Werner, Josef: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Karlsruhe 1988, S. 34ff. (= Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Bd. 9). Hakenkreuz und Judenstern (wie Anm. 29).

4 Vgl. Stadtarchiv Karlsruhe (StadtAK) 1/POA2/1620.

5 Adreßbuch der Landeshauptstadt Karlsruhe 62 Jg., 1933/34, S. I.4.

6 Benz, Wolfgang: Geschichte des Dritten Reiches, München 2003, S. 31.

7 Zur Geschichte der badischen NSDAP vgl. Bräunche, Ernst Otto: Die Entwicklung der NSDAP in Baden bis 1932/33, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 125. Band, NF 86, 1977, S. 331-375; ders.: Die NSDAP in Baden 1928-1933 - Der Weg zur Macht, in: Schnabel, Thomas (Hg.): Die Machtergreifung in Südwestdeutschland. Das Ende der Weimarer Republik in Baden und Weimar 1928-1933, Stuttgart 1983, S. 15-48, und Grill, Johnpeter H.: The Nazi Movement in Baden 1920-1945, Chapel Hill 1983.

8 Vgl. zu den Ereignissen in Karlsruhe Bräunche, Ernst Otto: Residenzstadt, Landeshauptstadt, Gauhauptstadt. Zwischen Demokratie und Diktatur 1914-1945, in: Karlsruhe. Die Stadtgeschichte, Karlsruhe 1998, S. 357-517, S. 455-487.

9 Ebbecke, Otto: Die deutsche Erhebung in Baden, Karlsruhe 1933, S. 22.

10 Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) 465a 51/68/902.

11 Karlsruher Tagblatt vom 17.5.1933.

12 Vgl. Adreßbuch der Landeshauptstadt Karlsruhe 1933/34, Karlsruhe 1933, S. I, 4.

13 Der Führer vom 14.5.1933, auch abgedruckt in: Badische Presse vom 12. Mai 1933.

14 Siehe hierzu die Beiträge über die Bücherverbrennungen in Heidelberg, Pforzheim, Offenburg und Kehl im vorliegenden Band.

15 Badischer Beobachter vom 14.6.1933.

16 Vgl. Benz, Wolfgang (wie Anm. 6), S. 42.

17 Badischer Beobachter vom 18.6.1933.

18 Ebd.

19 Vgl. Bräunche, Ernst Otto: "Ein gewiß zeitgemäßes Unternehmen". 125 Jahre Badenia, Karlsruhe 1999, S. 127-137.

20 Der Führer vom 15.6.1933.

21 Zu Wacker vgl.: Schrecke, Katja: Otto Wacker, Badischer Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz, in: Die Führer der Provinz (wie Anm. 2), S. 705-732.

22 Zitiert nach: Karlsruher Tagblatt vom 18. Juni 1933.

23 Der Führer vom 18. Juni 1933.

24 Der Führer vom 18. Juni 1933.

25 Karlsruher Tagblatt vom 18. Juni 1933.

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