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Blick in die Geschichte Nr. 136

vom 16. September 2022

Biographie Andreas Kalnbach

In den Jahren 1878 bis 1890 galt im Deutschen Kaiserreich das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, kurz das Sozialistengesetz. Verboten wurden damit Vereine, Versammlungen und Informationsmaterial, die aus der Sicht der bürgerlich-konservativen Mehrheit den Bestand der Staats- und Gesellschaftsform bedrohten. Viele Anhänger der Sozialdemokratie wurden verhaftet, verurteilt und auch des Landes verwiesen, ihre Aktivitäten fanden nur noch im Verborgenen statt. So gewannen in der Einschätzung des Marx-Kenners und sozialdemokratischen Politikers Karl Kautsky Wirtshäuser als „das einzige Bollwerk der politischen Freiheit des Proletariats“, existentielle Bedeutung für das gesellschaftlich und politische Leben der Anhänger der Sozialdemokratie. In Karlsruhe trafen sich in diesen Jahren die gleichgesinnten Männer unter anderem „beim Andreas“, dem Wirt des „Ritter“ in der Kronenstraße 46.

Andreas Kalnbach (1852-1928)

Andreas Kalnbach wurde am 8. Oktober 1852 in Schweinfurt als Sohn eines Schuhmachers geboren und erlernte das Schlosserhandwerk. 1873 kam er nach Karlsruhe und arbeitete bei der großherzoglichen Eisenbahnhauptwerkstatt und bei der Herdfabrik Junker & Ruh. In Karlsruhe heiratete er 1875 Lina Beringer, mit der er fünf Kinder großzog. 

Früh schon hat er sich nach eigenen Angaben „mit allen Kräften für die Ideen der Sozialdemokratie“ eingesetzt. Er gehörte bis 1875 dem 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein an und nach dessen Vereinigung mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1875 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, deren Anhänger in Karlsruhe 1876 einen Ortsverein gründeten. 1877 übernahm Kalnbach das Amt des Kassiers für die neue Metallarbeit-Hilfskasse in Karlsruhe. Seinen Arbeitgebern fiel er durch „sozialdemokratische Agitation“ in den Werkstätten als „Wühler“ und „Hetzer“ auf. Da er auch nach Erlass des Sozialistengesetzes weiter politisch aktiv blieb, erhielt er mehrere Haftstrafen. Da er in der Folge seinen Arbeitsplatz verlor, entschloss er sich 1883.

Den „Ritter“ pries er in einer Anzeige als „Restauration mit großem Saal“, „nur guten Speisen und Getränken“ sowie der Auslage von unter anderem drei überregionalen sozialdemokratischen Zeitungen und der Metallarbeiterzeitung. Unter dem Sozialistengesetz war der „Ritter“ ein zentraler Treffpunkt für Anhänger der Sozialdemokratie und deren Beratungen. Kalnbachs Lokal war auch Teil des Netzwerks der „Roten Feldpost, über die der in Zürich hergestellte „Sozialdemokrat“ verteilt wurde. Und hier tagte der Pfeifenclub Vulkan, eine der sozialdemokratischen Tarnorganisationen. Das Lokal wurde zwar von der Polizei argwöhnisch überwacht, ein verstärktes Wachkommando in der nahen Militärwache am Durlacher Tor war vor allem an Wochenenden stets einsatzbereit und an Hausdurchsuchungen mangelte es nicht. Dennoch fand die Polizei keine Anhaltspunkte für Verbote. 

Da als Privatperson jedermann bei den Reichstagswahlen kandidieren konnte, nutzte Kalnbach diese Möglichkeit, öffentlich für die Ziele der Sozialdemokratie zu werben. So war er laut einem Nachruf 1878-1890 Vertrauensmann für den badischen Reichstagswahlkreis 10 (Karlsruhe-Bruchsal) und danach für den Wahlkreis 13 Bretten-Eppingen und kandidierte mehrfach bei den Wahlen. Als 1884 der Karlsruher Metallarbeiterfachverband mit 120 Mitgliedern gegründet wurde, war Kalnbach dabei und wurde als dessen Delegierter zum Kongress nach Gera entsandt. Er gehörte 1887 ebenfalls zu den Gründern des ersten, gleich wieder verbotenen sozialistischen Wahlvereins und auch des zweiten von 1889. In beiden wurde er mit Richard Volderauer zum Vorsitzenden gewählt und leistete nach einem Zeitzeugen die Hauptarbeit. Tagungslokal war der „Ritter“ und in dessen Saal feierten am 1. Oktober 1890 etwa 700 Anhänger mit dem Zeitungsverleger der Parteizeitung „Der Volksfreund“ Adolf Geck das Ende des Sozialistengesetzes.

Die neu gewonnene Freiheit ermöglichte Kalnbach ein noch stärkeres Engagement für die Partei und die Gewerkschaft. Er nahm in den 1890er Jahren die Aufgaben eines Bevollmächtigten des Metallarbeiter-Verbands und der Kranken- und Sterbekasse der Metallarbeiter in Karlsruhe wahr. Als 1890 erstmals drei Sozialdemokraten in den Bürgerausschuss der Stadt gewählt wurden, war Andreas Kalnbach, einer der aktivsten Sozialdemokraten der Verbotszeit, einer von ihnen. Nach der Wiederwahl 1893 blieb er bis 1896 Mitglied des Gremiums. Als Delegierter nahm er an den ersten drei Parteitagen der SPD teil und 1896 führte er mit einem Freiburger Parteigenossen den Vorsitz beim zweitägigen Parteitag der badischen SPD. Auch nach 1890 galten Kalnbachs Wirtschaften, bis 1894 der „Ritter“ und danach die „Brauerei Heck“ in der Kaiserstraße 13, als wichtige Parteilokale in der Stadt.

Im November 1900 beendete Kalnbach seine Tätigkeit als Wirt und wechselte als Angestellter der Kranken- und Sterbekasse der Metallarbeiter nach Hamburg, wo er 1921 in den Ruhestand trat. Auch in seiner neuen Heimat war er für die Partei aktiv: 1919-1924 als Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft sowie zahlreicher kommunaler Ausschüssen, Kommissionen und Deputationen. Außerdem leitete er viele Jahre den proletarischen Freidenkerverband in Hamburg. 

Die Verbindung zu Karlsruhe ist auch aus familiären Gründen nie abgerissen. Hier feierte er 1925 im großen Kreis ein seltenes Fest: Die Hochzeit seiner Enkelin Ella, die Silberhochzeit seines Sohnes Friedrich und die eigen Golden Hochzeit. Anfang September 1927 reiste er auch zur Feier des, wie man damals irrtümlich meinte, 40-jährigen Bestehens der Karlsruher Sozialdemokratie nach Karlsruhe. Wenige Monate später, am 19. März 1928, ist Andreas Kalnbach, einer der Vorkämpfer der Sozialdemokratie in Karlsruhe, der in der Zeit des Sozialistengesetzes – wie es in einem Nachruf hieß – „das rote Banner mutig vorangetragen hat“, in Hamburg im Alter von 76 Jahren verstorben. 

Dr. Manfred Koch, Herausgeber/Redaktion "Blick in die Geschichte" / Peter Möllmann, Urenkel von Andreas Kalnbach

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